18.11.2025
1990 bis 2025 - Eine Entwicklung von rechten Jugendgruppen und ihren Auswirkungen.
In diesem Beitrag geben wir euch einen Überblick zu rechten bzw. neonazistischen Jugendgruppen in der Stadt Görlitz. Dabei geht es vor allem um deren "Entstehung", Aktivitäten und Auswirkungen. Wir stützen uns auf die Chronik, Zeitungsartikel und Berichte von Zeitzeug*innen.
In dem Erscheinen von rechten Jugendbewegungen seit der Wende in Görlitz gibt es immer wieder Phasen von neu aufkommenden rechtsorientierten Jugendlichen. Oft verharren diese dann in einer zwei bis fünf Jahre andauernden Phase in der Szene und verschwinden danach zum Teil aus den rechten Strukturen. Manche von ihnen bleiben jedoch dabei und entwickeln sich zu „Überzeugten“ und „gefestigten Rechtsextremen“.
Die rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Ressentiments, die z.B. Rechte Parteien oder andere rechtsextreme Organisationsformen in den jeweiligen Phasen in Görlitz bedienen oder bedienten, haben sich inhaltlich nicht verändert.
Die rechte Raumnahme in der Stadt Görlitz war und ist bis heute von großer Bedeutung und spielt eine wichtige Rolle zur Schwächung demokratischer Strukturen in Görlitz. Diese führt zu einem vergifteten gesellschaftlichen Miteinander und einem Stadtbild, in dem sich nicht-rechte Menschen bedroht fühlen. Seit den 1990er Jahren (siehe unsere Chronik) finden gewalttätige Übergriffe auf Menschen, die nicht in das Weltbild rechtsextremer Ideologie passen, verfassungsfeindliche Schmierereien, Aufkleber- und Plakataktionen, rechtsextreme oder rechtsoffene Veranstaltungen statt.
Das was in den frühen 1990er Jahren in den "Hinterzimmern heimlich“ geschah, nimmt in der öffentlichen Wahrnehmung durch die sozialen Medien eine bestimmendere Rolle ein.
Waren in den 90ern und frühen 00er Jahren noch rechte Magazine, Internetforen, Maillinglisten und die persönliche Ansprache von rechten Kadern prägend, änderte sich dies mit dem Aufkommen von z.B. Facebook und StudiVZ. Die digitale Vernetzung und Kommunikation wurde zunehmend alltäglicher. Heute bieten z.B. Instagram, TikTok und Snapchat sowie diverse Messenger eine wichtige Möglichkeit der "Sozialen Kommunikation". Auch für rechtsoffene Jugendliche fungieren diese digitalen Plattformen als "einfacher" Austausch untereinander, der Vernetzung und der Veröffentlichung von "gemeinsamen Aktionen". Rechtsextreme Jugendliche sind zum Teil "Content Creater" oder "rechte Influencer", die neben den rechten Parteien Versatzstücke rassistischer und rechtsextremer Weltanschauung in der Region stärker sichtbar machen.
Wir zeigen ausschnittweise die Entwicklungen der rechten Jugendszene seit den 1990er Jahren auf.
Dabei erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Die Auswirkung rechter Raumnahme wird durch exemplarische Beispiele aus den jeweiligen Phasen dargestellt.
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In einem aktuellen Prozess (Urteil am 17.11.2025) gegen drei Angeklagte (17, 19 und 21 Jahre alt) geht es um einen Übergriff in Görlitz auf "politische Gegner*innen". Die Angeklagten ordnen wir der rechtsextremen "Neuen Rechten Jugend Görlitz" (z.B. "Görlitzer Jugend Voran", "Nationale Jugend Görlitz", "Gorelic Resista") zu, die seit ca. 3 Jahren existiert.
Eine zunehmende Anzahl der im öffentlichen Raum wahrgenommenen rechtsorientierten Jugendlichen konnte man seit den rassistischen Protesten im Sommer 2023 erkennen. Auch die Zunahme der Rechten Parolen im Stadtbild von Görlitz spielt seit dem eine größere Rolle. Beispielsweise kamen am 10.07.2023 "spontan" ca. 1.000 Teilnehmer*innen zu einer rassistischen Demonstration (sogenannte Montagsdemo) in Görlitz zusammen. (https://15grad-research.net/ereignisse/rassistische-demonstration-847)
Auslöser dieser rassistischen Proteste war ein Vorfall in einer Görlitzer Diskothek in der Nacht vom 08.07.2023 zum 09.07.2023. Dabei kam es zu einer "massiven Schlägerei mit mehreren beteiligten Personen".
Die "Protestwelle" wurde noch einige Wochen nach dem Vorfall durch rechtsextreme Parteien wie z.B. der AfD, der Partei Die Freien Sachsen, dem "Jugendblock" Bautzen/Görlitz und der "Montagsprotestler*innen" in Görlitz unterstützt. Dabei spielten rechtsextreme Einzelakteur*innen eine wichtige Rolle und nutzten die Bühne für rassistische Ressentiments. Auf verschiedenen Demonstrationen in Görlitz sprachen u.a. Marco Fuchs (Dresden), Burkard Hasenfelder (Görlitz), Dietrich Kuhn (Görlitz), Sebastian Wippel (Görlitz), Jens Jäschke (Görlitz) und Stefan Hartung (Aue-Bad Schlema).
Hier formierten sich bis zu 30 Jugendliche hinter einem Transparent mit der Aufschrift "Wir sind die Jugend ohne Migrationshintergrund" und gekleidet zum Teil mit rechtsextremen Modemarken (White Race, Thor Steinar oder Label 23). Musikalische Unterstützung gab es bei späteren Demonstrationen u.a. durch die Betreiber*innen des rechtsextremen Musiklabels "NDS Records" aus Bautzen, Yann Song King (Querdenker Liedermacher aus Dresden) und Björn Winter aka Björn Banane (Reichsbürger).
Das Auftreten der Jugendlichen war dabei heterogener. Neben dem aktuellen Lifestyle-Outfit (schwarz, Markenklamotten) erlebte eine Mode aus den Anfängen der 1990er Jahre ihr Revival: Springerstiefel, weiße Schnürsenkel, Camouflage–Hosen, Bomberjacke und Glatze wurde in letzten zwei Jahren wieder im Stadtbild wahrgenommen. Zum Teil konnte man diesen Life-Style bei den Gegenprotesten zum CSD 2024 / 2025 in Görlitz und Bautzen beobachten - ein sichtbares Sammelsurium der rechtsextremen Modeerscheinungen der letzten 35 Jahre.
Social Media ist dabei ein wichtiger Bestandteil der Mobilisierung und Vernetzung von der "Neuen Rechten Jugend Görlitz". Waren es vormals The-Reality.net, Facebook, SnapScouts, YouTube und StudiVZ sind es heute TikTok, X, Telegram und Instagram. Auf diesen Plattformen tauchen immer wieder Kanäle und Profile von rechtsorientierten Jugendlichen und Gruppen auf, die sich darüber vernetzen und organisieren.
Manche Kanäle werden regelmäßig bespielt, einige verschwinden wieder von der Bildfläche. Beispiele hierfür sind: "Montagsdemo Görlitz", "Grenzsteinig Görlitz", "Patrioten Görlitz", "Resolut", "Freie Nationale Sozialisten Görlitz" oder "Gorelic Resista". Diese fungieren als öffentliche Schnittstellen neben den scheinbar vielen privaten Kanälen.
In den zum Teil "privaten" oder nur kurzfristig eingestellten "nicht privaten" Konten werden unverblümt Posts mit verfassungsfeindlichen Gesten und/oder rechtsextremen "Grüßen" veröffentlicht. Multiplikator*innenfunktion haben dabei die schon länger "berühmten" und überregionalen Protagonisten, die auch in festen rechten Gruppen oder Parteistrukturen verankert sind. Hier sind zum Beispiel Finley P. (JN/Elblandrevolte), Dan Odin W. (Urbs Turrium Bautzen), Lucas S. (Elblandrevolte) und Benjamin Moses (Balaclava Graphics Bautzen) zu nennen. Deren Aufrufe, Videos und Bilder werden von anderen rechtsorientierten Jugendlichen aus der Region besonders häufig geteilt. Diese bekannten Protagonist*innen scheinen Vorbilder und Initiator*innen gleichzeitig zu sein.
Örtliche Schwerpunkte rechter Jugendcliquen in Görlitz sind aktuell die Stadtteile Innenstadt, Südstadt sowie Rauschwalde.
Körperliche Übergriffe von Rechtsextremist*innen blieben in Görlitz konstant gering. Jedoch vermehren sich verfassungsfeindliche Graffiti, Plakataktionen rechtsextremer Parteien und Veranstaltungen in den letzten zwei Jahren. Neben diesen Ereignissen, die wir dokumentieren, finden seit letztem Jahr vereinzelt öffentliche "Kampftrainings" auf Spielplätzen in Görlitz statt. So z.B. am 25.05.2025, wo ca. 10 Jugendliche mit Shirts der rechtsextremen Partei "Der Dritte Weg" in der Görlitzer Innenstadt trainierten.
Auswirkungen der rechten Raumnahme
20.12.2024
In der Nacht zum Samstag griff eine Gruppe von 10-15 Rechtsextremen, darunter mutmaßlich Mitglieder von der Elbland Revolte und der Pforzheim Revolte, eine Gruppe von 5 Personen aus dem linken Spektrum in der Görlitzer Innenstadt an. Dabei wurden Flaschen, Pfefferspray und Pyrotechnik eingesetzt. Drei der Angegriffenen, darunter zwei Kommunalpolitikerinnen von der Partei Die Linke wurden erheblich verletzt und mussten im Krankenhaus behandelt werden. Die Polizei nahm die Personalien einiger Angreifer auf.
13.03.2025 Klassenfahrt Görlitzer Jugendlichen
Vier Schüler der Görlitzer Scultetus-Oberschule haben am 13. März vor dem Tor des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau für ein Foto mit einer rechtsextremen Geste posiert.
13.09.2025
Fünf Jugendliche posieren in den sozialen Medien mit dem Hitlergruß hinter einer Hakenkreuzfahne. Die rechten Jugendlichen sind ein Teil der Görlitzer rechten Jugend.
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"So wie es Franz Schönhuber gesagt hat: 'Ich liebe alle Türken in der Türkei'... Darum haben wir och unseren Jugendverband gegründet ... wir sind ein Zusammenschluß von sehr vielen Leuten eigentlich und (ähm) Einigkeit macht stark. Wir werdens den Ausländern, wenn die erstmal da sind bei uns, da werden die schon sehen das sie nicht hierher gehören, würde ich sagen..."
Diese rassistischen Aussagen werden von rechtsradikalen Jugendlichen aus Görlitz in der Dokumentation "Deutschland erwache - Die Wiedervereinigung der Neo-Nazis" (1990) vor laufender Kamera geäußert. (https://www.youtube.com/watch?v=WY30y1Lbh9s)
Die Entwicklungen in Görlitz folgen einem allgemeinen, deutschen/europäischen Trend. Jugendliche in den neuen Bundesländern der 1990er wurden von den aufkommenden neurechten und vorhandenen rechtsextremen Parteien (NO, FAP, REP, NPD, DSU) rekrutiert und in politische Zusammenhänge eingebunden. Dabei ist es nicht unerheblich zu erwähnen, dass diese Entwicklung durch "westdeutsche Kader" organisiert wurde.
In der Wiedervereinigungsphase 1990/1991 hatte die deutsch-polnische Grenze in Görlitz eine Anziehungskraft für Neonazis, geschichtsrevisionistische Vereine und rechtsextreme Parteien. Mit Unterstützung von damaligen Vertriebenenverbänden („Zentralrat der vertriebenen Deutschen") und geschichtsrevisionistischen Vereinen (JLO) wurde öffentlich die Legitimität der Grenze zu Polen bestritten.
Unter dem Motto "Dieses Jahr brennt ein Feuer und nächstes Jahr brennt die Oder-Neiße-Grenze" versammelten sich z.B. am 31.12.1990 etwa 100 Rechtsradikale am Grenzübergang Görlitz/Zgorzelec und versuchten diesen zu stürmen.
Veranstalter*in dieses "Mahnfeuer, was an der Ruhmeshalle entzündet werden sollte" war das "Deutsche Jugendbildungswerk". (https://www.apabiz.de/archiv/material/Profile/AVOE.htm)
Diese Veranstaltung wurde trotz Verbot durchgeführt.
Die Aufbruchstimmung nach dem Mauerfall und die fehlenden staatlichen Strukturen ermöglichten eine erschreckende rechtsextreme, völkische und deutsch-nationale Stimmung im Stadtbild. Diese wurde von Teilen der rechtskonservativen Politik bundesweit befördert. Jugendliche mit Bomberjacken und Springerstiefel dominierten Diskotheken, Jugendzentren und zunehmend das Straßenbild. Nach den Polizeimeldungen und Zeitzeug*innenberichten sprechen wir von 20-30 bewaffneten rechtsextremen Jugendlichen, die regelmäßig mit Baseballschlägern, Gaspistolen und Flaschen "Jagd auf, aus ihrer Sicht, politische Feinde und ausländische Menschen" unternahmen.
Durch diese zunehmenden rassistisch motivierten, z.T. schweren Angriffe auf Personen und Fahrzeuge mit ausländischen Kennzeichen im Transitverkehr Anfang der 1990er Jahre war die Stadt im Zugzwang einzuschreiten. Ausgerichtet am Konzept der sogenannten „Akzeptierenden Jugendarbeit" (https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/rechte-gewalt-in-den-1990er-jahren-2022/515775/jung-maennlich-ostdeutsch-gewalttaetig/) flossen beträchtliche finanzielle Mittel (Sächsischen Kultusministerium - 268.000 DM, Landesjugendamt - 240.000 DM) in die Ausstattung eines Objekts sowie in Stellen für Sozialarbeiter*innen in Görlitz. Zur Prävention weiterer Straftaten sollten letztere die "vom Weg abgekommenen" Jugendlichen professionell unterstützen. Exemplarisch hierzu eine Äußerung von N.N. (Sozialarbeiterin) in einem Artikel der Sächsischen Zeitung vom 21.01.1992:
"Die laufen in Stiefeln und mit Glatze rum, weil sie oft selber Angst haben(...) oder weil sie einfach mal ernst genommen werden wollen, jemanden suchen der ihnen zuhört."
Ob wir es hier mit mangelnder Reflexion, mit Naivität oder mit Methode zu tun haben, sollte an anderer Stelle erörtert werden. Faktisch entwickelte sich, seit der Eröffnung im Sommer 1991, unter dem Ansatz der "Akzeptierenden Jugendarbeit" das sogenannte „Begegnungshaus“ (von 1991-1999) in der Kränzelstraße zu einem wichtigen Treffpunkt für rechte Jugendliche und einer Anlaufstelle für rechte Kader aus dem gesamten Bundesgebiet. In den folgenden fünf Jahren etablierten sich rechte Jugendgruppen in Görlitz Nord, Rauschwalde und im Stadtzentrum. Es kam trotz der angebotenen Jugendsozialarbeit in Görlitz zu weiteren Übergriffen, Schmierereien und rechten Versammlungen und Aufmärschen.
Auswirkungen der rechten Raumnahme
12.04.1991
Etwa 10-15 Jugendliche versuchen einen polnischen PKW umzukippen, dabei schlugen sie die zwei vorderen Seitenscheiben ein und zerstörten die Frontscheibe mit einem Gullydeckel. Zwei Personen wurden verletzt.
04.02.1991
Am 04. Februar wurde der Polizei bekannt, dass an der Synagoge mit schwarzer Farbe ein Hakenkreuz an die Gedenktafel mit der Aufschrift "Sieg Heil REP" angebracht und die Wand mit "Judas verrecke" besprüht wurde.
15.10. 1993
„(...) dringen 10 – 15 rechtsorientierte Jugendliche in das Haus eines Stadtverordneten ein und schlagen mit Holzknüppeln auf die Familienmitglieder ein. Darunter waren auch zwei der Polizei bekannte DN Mitglieder -Deutsche Nationalisten“
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Im Zuge einiger "Informationsveranstaltungen" des NPD -Verbandes Sächsische Schweiz kam es zu einer Veränderung im parteipolitischen rechtsextremen Spektrum in Görlitz. Der schon lange existierende REP Verband Ostsachsen löste sich auf und es entstand im Juli 1996 der Görlitzer NPD Kreisverbandes unter Führung von Jürgen Krumpholz. Die NPD rekrutierte weiterhin rechtsoffene Jugendliche, die sich den zu Beginn der 1990er ideologisch gefestigten Jugendlichen verbunden fühlten. Die anderen rechtsextremen Kleinstparteien (FAP oder NO) waren mittlerweile verboten oder aufgelöst und verloren weiter an Bedeutung.
Mit dem Kauf einer Immobilie in der Altstadt durch die NPD (1997), entstand ein zusätzlicher allgemeiner Anlaufpunkt, neben dem "Haus der Begegnung" Kränzelstraße, welcher für politische Schulungen und regelmäßige Veranstaltungen geeignet war und genutzt wurde.
Das ehemalige "Haus der Begegnung" in der Kränzelstraße entwickelte sich zur subkulturellen Neonazi- und Fußballkneipe.
Zugang fanden Jugendliche oft auch über Subkultur. Wichtig bei der Einbeziehung der rechten Skinhead Subkultur war z.B. der Görlitzer Mario Ansorge, der aktuell einen Antik-Laden in Görlitz betreibt und desöfteren Gast im Görlitzer NPD-Haus war. Durch die Teilnahme an Rechtsrockkonzerten konnten rechtsoffene Jugendliche in die Erlebniswelt der rechtsextremen Szene eintauchen - sich weiter radikalisieren und vernetzen. Auch die regelmäßigen Konzertberichte und Veröffentlichungen in den rechtsextremen Print-Medien, wie die RechtsRock-Magazine "Rock Nord" und der "Noien Doitschen Welle" trugen dazu bei. (https://antifainfoblatt.de/aib42/npd-hoehenflug-der-oberlausitz)
Mario Ansorge organisierte ab diesem Zeitpunkt RechtsRock-Konzerte in Mücka und Friedersdorf (bei Görlitz).
Fest in der Neonaziszene verankerte Bands wie "Radikahl", "Thorshammer" und "Noie Werte" zogen bis zu 1.000 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet sowie den Nachbarländern nach Ostsachsen.
Neben den regelmäßigen Konzerten außerhalb von Görlitz und den Versuchen innerstädtisch Konzerte durchzuführen, kam es zu einigen Demonstrationen und Kundgebungen der NPD z.B. zu "Ehren der Nationalsozialisten Otto Ernst Remer oder Rudolph Hess". An der bis dato "größten" NPD Demonstration Mitte der 1990er Jahre in der Stadt nahmen ca. 300 Rechtsextremist*innen teil.
Auswirkungen der rechten Raumnahme
06.12.1996
Bei brutalen Überfällen rechtsgerichteter Schlägertrupps wurden in der Nacht vom Freitag zum Sonnabend in Görlitz zehn Personen verletzt. Vier mussten mit zum Teil schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Jugendliche in Bomberjacken und Springerstiefel hatten zunächst in der Straßenbahn der Linie 1 randaliert, später mehrere Jugendliche in Görlitz-Weinhübel brutal zusammengeschlagen.
28.05.1998
In Görlitz zeigten einige Rechtsradikale den Hitlergruß, sangen den "Hakenkreuz-Song“ und riefen NPD-Parolen.
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Mit dem Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag 2004 erhöhte sich die Aufmerksamkeit für die NPD in Görlitz. Neben diesem "Erfolg" entstanden erstmals lose und vereinsungebundene Organisationsformen in denen vor allem die "alten" Neonazis aus den 1990er eine noch vernetzendere Rolle der rechten Szene einnahmen. So z.B. Jürgen Krumpholz (1996-2005 NPD und späteres DSU-Mitglied), Stephan Latzel (2004-2010 NPD) und Jürgen Hösl-Daum (geschichtsrevisionistischer Akteur und 2004 DSU Stadtratsmitglied). Neben dem schon seit acht Jahren ansässigen NPD-Verband organisierten sich nun rechte Jugendliche auch außerhalb dieser Strukturen.
Die Organisationsart, der Kleidungsstil und das Auftreten rechter Jugendlicher in der Öffentlichkeit veränderte sich. Junge Neonazis kopierten Aktionsformen und Kleidungsstil von antifaschistischen Bewegungen. (https://de.wikipedia.org/wiki/Autonome_Nationalisten)
Vor allem Aufkleber und Flyeraktionen lehnten sich thematisch an die bundesweite Entwicklung der neu entstandenen "Freien Kameradschaften" an. Es wurden massiv Aufkleber in Görlitz geklebt. Inhalte der Aufkleber lauteten:
"Organisiert die Anti-Antifa","Freiheit für alle Nationalisten" oder "Nationaler Sozialismus oder Untergang!".
Auch die Verherrlichung von ehemaligen NS-Funktionären z.B. "Gedenken an Rudolf Hess" wurde weiterhin öffentlich in Görlitz verbreitet in Form von Plakatierungen.
Neben diesen Propagandadelikten gab es einige rechtsextreme Printausgaben von verschiedenen Akteur*innen, die in der Stadt verteilt wurden. Manche dieser wurden in kleinen Auflagen publiziert. Als Beispiele nennen wir hier die "Oberlausitzer Stimme", "Blickpunkt Lausitz", "Freier Rundbrief" oder "Bündnis Rechts Schlesien".
Neben der "politischen Arbeit" war die rechte "Freizeitkultur" ein wichtiges Betätigungsfeld. Im nördlichen Landkreis Görlitz entwickelten sich durch unzählige Rechtsrockveranstaltungen (Diskothek "Wodan" in Mücka, "Deutsche Eiche" in Geheege, "Niederschlesisches Feriendorf" am Quitzdorfer Stausee) für die Szene wichtige Anlauf- und Vernetzungspunkte der rechtsextremen Subkultur mitsamt ihrer Musik, ihren Codes und Symbolik.
Vermutlich aus diesem Gesamtkontext in und um Görlitz konnten sich mehrere Kameradschaften im Landkreis Görlitz entwickeln. In der Stadt Görlitz entstand um 2002 neben der NPD und vereinzelten Aktivist*innen eine homogene Kameradschaft. In dieser rechtsextremen Gruppierung mit dem Namen "Boot Boys" organisierten sich bis zu 40 Jugendliche und junge Erwachsene. In dieser Gruppe einte sich das antisemitsche, nationalistische und rechtsextreme Weltbild und die Affinität zu Gewalt. Die meisten von ihnen standen dem "Hooligan-Spektrum" und der rechten Skinhead-Szene nah. Offen propagierten sie sich teils als Anti-Antifa-Aktivisten und huldigten ehemaligen NS-Funktionären. Viele Jahre organisierten die "Boot Boys", vor der Öffentlichkeit versteckt, eigene Fußballturniere, und besaßen jahrelang ein eigenes "Clubhaus" in Görlitz Innenstadt-Rauschwalde.
In den sozialen Medien waren diese Jugendlichen ebenso aktiv. Vor allem in der unpolitischen ostsächsischen Social Media Plattform "SnapScouts" (2003-2014) tauschten sich u.a. auch rechtsextreme Jugendliche aus. Dort konnte man private Profile mit Namen und Interessen erstellen, Fotos hochladen und sich vernetzen.
Ein vermeintliches Mitglied der "Boot Boys Görlitz" schrieb unter der Rubrik: "Interessen": "Ein Sauberes Deutschland ... keine Türken, keine Juden allg. keine minderwertigen Rassen in unserem Land!!!"
(Screenshot vorhanden. 21.08.2008 /15°Research Archiv).
Nicht verwunderlich, dass es ebenso zu antisemitischen Sprühaktionen in Görlitz kam. Den "Boot Boys" wurden z.B. eine Schmiererei eines Hakenkreuzes an der ehemaligen Synagoge und rechtsextreme Symbole an "Asia" und "Döner" Imbiss zugerechnet. (https://www.bild.de/regional/dresden/faelle-von-nazischmierereien-aufgeklaert-11400232.bild.html)
Auf das jahrelange Wirken der kameradschaftsähnlichen Struktur wurden letztendlich die Behörden aufmerksam. Ende November 2008 gerieten sie im Zuge von umfangreichen Ermittlungen in die Schlagzeilen. (Mit einem Großaufgebot von 136 Beamten wurden am 25. November 2008 die Wohnungen von 16 Neonazis in Görlitz und Olbersdorf (Oberlausitz) sowie die Räume des „Nationalen Jugendblock Zittau e.V.“ (NJB Zittau) durchsucht. Ihnen wird unter anderem Raub, gefährliche Körperverletzung und die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Gefunden wurden u.a. Gewehre, Munition, Hakenkreuzfahnen und ein Bild von Adolf Hitler. Zumindest ein Teil der Verdächtigen wird den neonazistischen Gruppen NJB Zittau sowie „Boot Boys Görlitz“ zugeordnet. (https://infoladen-zittau.de/brennpunkt-ostsachsen/nazis-in-ostsachen/)
Trotz der staatlichen Ermittlungen, trafen sich die "Boot Boys" weiterhin. Bis ins Jahr 2013 gab es diese Kameradschaft in Görlitz. (Sächsischer Bericht des Verfassungsschutz, 2013)
Einen letzten sachsenweiten Bekanntheitsgrad erreichten die "Boot Boys" 2012, mit einem von ihnen organisiertem "Nationalen Fußballturnier" in der Görlitzer Jahnsporthalle. Dieses wurde am 17.03.2012 mit 14 teilnehmenden Teams durchgeführt. T-Shirts mit Aufschriften "Artgemeinschaft", "Sudetenland erwache" wurden getragen, was in einem MDR-Beitrag mit dem Titel "Neonazis im Fußball" dokumentiert ist. Dies soll laut Angaben des MDR bereits das vierte Fußballturnier in Folge gewesen sein. (https://www.youtube.com/watch?v=GCa8llqOOrw)
Auswirkungen der Rechten Raumnahme
16.12.2003
Am späten Abend werden zwei alternative Jugendliche von zwei Rechten angepöbelt und bedroht. Ein Täter reißt sie zu Boden und verletzt die Jugendlichen durch mehrere Tritte mit Springerstiefeln. Durch beherztes Eingreifen eines Fahrradfahrers kann Schlimmeres verhindert werden.
15.11.2008
Unbekannte schmierten am Wochenende eine antisemitische Losung und ein Hakenkreuz an die Tür der ehemaligen Synagoge. Die mit gelber Farbe angebrachte Hassparole hatte eine Größe von rund 1,70 m mal 1,20 m. Der Sachschaden beträgt 200 Euro.
06.08.2010
Am Rande des ViaThea-Festivals in der Görlitzer Innenstadt wird in der Nacht vom 6. zum 7.8.2010 eine Gruppe Punks von Rechten attackiert. Die Jugendlichen versuchen sich mit einem Taxi in Sicherheit zu bringen, werden jedoch auch darin angegriffen. Mehrere Jugendliche werden durch Schläge verletzt, einer von ihnen muss stationär behandelt werden.
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Mit den vermehrten, rassistischen Ausschreitungen ab 2015 in Deutschland kamen es auch in Görlitz zu einer neuerlichen rechten Bewegung. Es entstand eine "Gruppe" mit dem Namen "Görlitz bewegt sich", die sich an der rassistischen Bewegung "Pegida" aus Dresden orientierte. Diese bestand aus altbekannten und "neuen" Nazis und rechtsoffenen Jugendlichen, die sich angesprochen fühlten. Die von "Görlitz bewegt sich" organisierten Demonstrationen einten mehrfach bis zu 1.000 Teilnehmer*innen. Die Demonstrationen durch Görlitz endeten im Winter 2015. Seit 2016 kam es vereinzelt zu kleineren Kundgebungen der Gruppe "Görlitz bewegt sich" und der NPD um Per Lennart Aae.
Unterstützt wurden diese rassistischen Proteste von der regionalen AfD, Pegida und der Identitären Bewegung und Teilen der Bautzener Neonaziszene um Benjamin Moses (damals Projekt StreamBZ).
Mit Flyer- und Banneraktionen und Spontanversammlungen formierte sich eine kleine Gruppe rechtsorientierter Jugendlicher. Die Görlitzer Maximilian T., Michael K. und Timm Kaufmann nahmen kurzzeitig eine bedeutende Rolle für die Identitäre Bewegung und deren Aktivitäten in der Stadt ein. Bei Timm Kaufmann nehmen wir jedoch eine kontinuierliche und stetige "Weiterentwicklung" als "Aktivist" in der rechtsextremen Szene wahr. Seit 2018 war Timm Kaufmann selber mehrfach auf Demonstrationen in Görlitz und auf den späteren "Montagsdemos" zu sehen.
Aktuell ist er im rechten Filmkunstkollektiv Dresden aktiv und spielt sachsenweit eine größere Rolle in der neonazistischen Szene. Unter anderem beteiligte er sich am 01. Juni 2024 an der "10 Jahresfeier der Identitären Bewegung" im sächsischen Bernsdorf bei dem ebenso der rechte Influencer Erik Ahrens (Stand: 20.09.2025 - Aussteiger der rechten Szene) anwesend war.
Der Identitären Bewegung gelang es in Görlitz vergleichsweise begrenzt auf sich aufmerksam zu machen und sie erreichte aus unserer Sicht nur wenige Jugendliche.
"Erfolgreicher" war jedoch der Einfluss der rechtsextremen AfD in der Region - nicht nur auf Jugendliche. Die AfD gewann an Einfluss und öffentlicher Wahrnehmung durch den Einzug des Görlitzer Polizeibeamten Sebastian Wippel in den Sächsischen Landtag 2014 und der aktuell stärksten Fraktion im Stadtrat. Die Bundesfunktion in der AfD von Tino Chrupalla, der aus dem nördlichen Landkreis Görlitz stammt, gab dem Landkreis und der Stadt Görlitz einen erhöhten Bekanntheitsgrad.
Zu Kundgebungen der AfD in Görlitz z.B. mit Alice Weidel, Jörg Urban oder Alexander Gauland versammelten bis zu 1.000 Teilnehmende. An diesen Veranstaltungen nahmen immer wieder rechtsoffene und rechtsextreme Akteur*innen, die außerhalb der AfD aktiv sind, teil.
Der Versuch in Görlitz eine Ortsgruppe der "Junge Alternative" (im Januar 2025 aufgelöste Jugendorganisation der AfD) (https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/afd-junge-alternative-104.html) aufzubauen, scheiterte jedoch. Es kam vereinzelt zu kleinen Aktionen in der Region, Kegelabenden und Infoständen im Stadtgebiet.
Die Vernetzung und Agitation der Akteur*innen oder Gruppen fungierte meist über Printmedien wie Flyer, Plakate und Aufrufe. Dabei konnten rechte Jugendliche im Landkreis Görlitz an internen und öffentlichen rechtsextremen Veranstaltungen teilnehmen und sich vernetzen.
Das Social Media Verhalten der rechtsorientierten Jugendlichen via Facebook, Twitter und YouTube nahm zu.
Auswirkungen der Rechten Raumnahme
05.04.2016
Ein 16- und ein 18-Jähriger Mensch aus dem Kosovo wurden am Dienstagabend von mehreren Jugendlichen angegriffen, weil sie sich mit deutschen Mädchen trafen. Während der Ältere nur leichte Verletzungen davontrug
25.08.2017
Nach dem Ende des Altstadtfestes am Donnerstag zogen gegen ein Uhr ca. 30 bis 40 Rechte durch Görlitz. Die Gruppe skandierte unter anderem "Sieg Heil", "Deutschland den Deutschen" und "Ausländer raus".
21.10.2019
Am Montagnachmittag hörten Anwohner*innen des Kreuzkirchenparks, dass aus dem Park heraus verfassungswidrige Parolen gerufen wurden. Alarmierte Polizist*innen stellten in dem Park drei Jugendliche im Alter von 14 und 15 Jahren fest. Zur Anzeigenaufnahme wurde der Rufende mit aufs Revier genommen. Seine Eltern konnten ihn später von dort abholen.
Zuletzt aktualisiert am 25.11.2025