13.03.2023
Text in Zusammenarbeit mit dem Else Frenkel-Brunswik Institut (EFBI) aus Leipzig JOHANNES KIESS, AMELIE FEUERER & 15 GRAD RESEARCH
ABSTRACT
Das extrem rechte politische und soziale Engagement von Unternehmer*innen findet in der wissenschaftlichen Literatur bisher nur wenig Beachtung. Vor dem Hintergrund der großen Relevanz von Sponsoring und Spendentätigkeit, vom Engagement im Kreisligafußball bis hin zu Parteispenden, sollte dieser blinde Fleck der Rechtsextremismusforschung mehr Beachtung erfahren. In diesem Policy Paper legen wir anhand der Recherchen des Projektes 15 Grad Research und Beispielen vor allem aus dem Landkreis Görlitz dar, wie extrem rechte Unternehmer*innen mit ihrem politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Engagement auf die politische Kultur der Region Einfluss zu nehmen versuchen. Wir argumentieren, dass dieses Engagement zur Normalisierung antidemokratischer Positionen sowie zur Vernetzung extrem rechter Akteure beiträgt. Politik, Zivilgesellschaft, aber auch Wirtschaftsverbände sollten diese Entwicklungen in den Blick nehmen, um die demokratische Kultur vor Ort zu schützen.
AUF EINEN BLICK
Im Landkreis Görlitz liegt ein Schwerpunkt des organisierten Rechtsextremismus in Sachsen. Betroffene berichten von einer dauerhaften Präsenz und Dominanz rechter Akteure, immer wieder kommt es zu Übergriffen, Hakenkreuzschmierereien sind alltägliche Begleiter. Prominent sind die von Reichsbürger*innen und anderen extrem Rechten dominierten Proteste an der B96 sowie das bundesweit beworbene neonazistische Schild-und-SchwertFestival in Ostritz. Das Projekt 15 Grad Research hat es sich zur Aufgabe gemacht, solche Vorfälle systematisch zu sammeln. Das Ergebnis ist eine umfassende, wenn auch unmöglich vollständige Chronik rechter Gewalt und (symbolischer) Raumnahme mit weit über 800 Einträgen von 1990 bis 2022. Diese bildet eine wichtige Grundlage, rechte Hegemoniebestrebungen nicht unwidersprochen hinzunehmen. Die Arbeit dieses Projektes war auch Ausgangspunkt für das vorliegende Policy Paper 2023 -01.
Für rechte Raumnahme und die Entwicklung antidemokratischer Bewegungen im Landkreis Görlitz spielen Unternehmer*innen eine wichtige Rolle. Ein Beispiel ist der Unternehmer Helge Hilse aus der Region Oybin, Mitbegründer des bundesweit aktiven extrem rechten Netzwerkvereins Ein Prozent, der mit seinem Verein Landleben 19 e. V.die Heimatverbundenheit in Handwerksbetrieben politisch und wirtschaftlich fördern möchte. Die völkische Orientierung ist dabei Programm, es geht neben dem Geschäft auch um die Hegemonie eines harmonistischen, exklusiven Volksbegriffs, die Vermengung esoterischer und völkischer Einflüsse und die Normalisierung extrem rechter Ideologie. Ein anderes Beispiel ist Jörg Drews aus Bautzen, der die extrem rechte AfD mit einer Wahlkampfspende unterstützte, aber vor allem als Organisator rechtsoffener Diskussionsveranstaltungen und einflussreiche Stimme in der lokalen Öffentlichkeit wirkt. Eine ganze Reihe von AfD-Lokalpolitikern rekrutiert sich außerdem aus dem Milieu der Selbstständigen und des unternehmerischen Mittelstands. Unternehmer*-innen sind somit nicht nur Geldgeber*innen für die rechte Szene, sondern darüber hinaus eigenständige politische Akteure und Personalressource. Als zivilgesellschaftliche Akteure mit gesellschaftlicher Verantwortung können Unternehmer*-innen zum Beispiel mit Hilfe ihres sozialen Kapitals, aber auch mit finanziellen Ressourcen die lokale politische Kultur stark beeinflussen. Die Relevanz solchen Engagements im Breitensport, der Kulturförderung, aber auch in der Lokalpolitik ist unbestritten. Neben dem das demokratische Gemeinwesen in vielerlei Hinsicht bereichernden Engagement kann hierunter aber auch die Unterstützung und Vernetzung der rechten Szene fallen. Die in Sachsen sowie international zu beobachtende Entwicklung extrem rechter Strukturen hin zu ideologisch zunehmend heterogenen Akteursnetzwerken bietet hierfür eine breiter werdende Gelegenheitsstruktur. Verschiedene, auch mit ganz eigenen Absichten agierende Unternehmer*innen mit heterogenen politischen Schwerpunkten und Zielen können beim Aufbau solcher Netzwerke eine fördernde Rolle spielen. Diese Entwicklungen lassen sich am Beispiel des Landkreises Görlitz illustrieren, wo Unterneh mer*innen ihre materiellen Ressourcen diversen antidemokratischen Bestrebungen zur Verfügung stellen.
Die hier zusammengetragenen Beobachtungen stellen eine große Herausforderung für die Demokratie in Ostsachsen dar. Die demokratische Zivilgesellschaft muss gerade in diesem Umfeld durch eindeutige Positionierungen der Landespolitik und aller demokratischen Parteien gestärkt werden. Landes- und Kommunalpolitik sind gefordert, in der Region nachhaltige soziale, wirtschaftliche und auch politische Entwicklungen anzustoßen und vor Ort noch stärker zukunftsgestaltend aktiv zu werden. Auch Wirtschaftsverbände und Unternehmervereinigungen sollten für dieses Thema sensibilisiert werden bzw. selbst aktiv werden. Ein proaktiver Umgang mit demokratiefeindlichen Bestrebungen unter den eigenen Mitgliedern sollte nicht nur aus Imagegründen, sondern auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse (Stichworte corporate citizenshipund corporate social responsibility) und eigener demokratischer Verpflichtung selbstverständlich sein.
Im Landkreis Görlitz – östlichster Landkreis Sachsens, historisches sorbisches Siedlungsgebiet, Braunkohle- und Strukturwandelregion, geprägt durch niedrige Einkommen und Abwanderung, aber auch touristische Sehenswürdigkeiten – liegt ein Schwerpunkt des organisierten Rechtsextremismus in Sachsen.(1) Bereits während einer kurzen Internetrecherche stößt man auf teils Jahrzehnte zurückliegende, brutale Vorfälle)(2) wie auch jüngste Ereignisse(3). Prominent sind die von Reichsbürger*innen dominierten Proteste an der B96 wie auch bundesweit beworbene neonazistische Events in der Region (z. B. das Schild und-Schwert-Festivalin Ostritz). Immer wieder kommt es zu neonazistischen Schmierereien und (verbalen)Attacken.
Das Projekt 15 Grad Research hat es sich zur Aufgabe gemacht, solche Vorfälle systematisch zu sammeln. Das Ergebnis ist eine umfassende, wenn auch unmöglich vollständige Chronik rechter Gewalt und (symbolischer)Raumnahme mit weit über 800 Einträgen von 1990 bis 2022. In Ostritz und anderswo bleiben die Aktivitäten von Neonazis, Reichsbürgerinnen und sogenannten Querdenkerinnen also weder unbeobachtet noch unwidersprochen. Die extrem rechte AfD fährt im Landkreis regelmäßig bundesweite Höchstergebnisse ein, auch weil sie auf eine rechte Hegemonie in Teilen des Landkreises aufsatteln kann. Gleichzeitig bleibt sie deutlich hinter einer absoluten Mehrheit zurück. Das Umfeld für Demokrat*innen und zivilgesellschaftliches Engagement gilt dennoch als schwierig.
Ein Grund hierfür ist das extrem rechte Engagement von Unternehmer*innen in der Region. Einerseits ist dieses Ausdruck des weitverbreiteten extrem rechten Denkens. Wo große Teile der Bevölkerung rechts denken und wählen, tun dies auch Selbstständige, Handwerker*innen und andere Mittelständler*innen. Andererseits verstärkt dieses u. a. finanzielle Engagement die extrem rechten Hegemoniebestrebungen, nimmt alternativen Stimmen den Raum, normalisiert Rassismus sowie Demokratiefeindlichkeit und fördert neonazistische Strukturen. Die extreme Rechte hat sich im Landkreis Görlitz in den letzten Jahren organisatorisch zunehmend breiter aufgestellt. Waren bis vor etwa zehn Jahren noch vorrangig die NPD und neonazistische Kameradschaften tonangebend, sind es heute vor allem Reichsbürger*innen, die Freien Sachsen und natürlich die AfD, die öffentlichkeitswirksam und raumnehmend sowie teilweise auch raumgestaltend auftreten. Wie auch in anderen Ländern zu beobachten ist, verschwimmen Grenzen zwischen verschiedenen extrem rechten, die Demokratie mal mehr, mal weniger explizit bekämpfende Strömungen zunehmend (Pirro, 2022). Nachvollziehbar wird dies auch an den Strategien der sogenannten Neuen Rechten (Weiß, 2017).
Dass die Akteure im Landkreis solch ein Potential entwickeln können, liegt nicht nur an der Anzahl der Anhänger*innen, Parteimitglieder und Sympathisierenden, sondern auch an den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und ihrer gesellschaftlichen Verankerung. In diesem Policy Paper widmen wir uns den Netzwerken und Unternehmer*innen, welche die extreme Rechte finanziell unterstützen oder selbst entsprechend in der Region politisch aktiv sind. Diese Unterstützung reicht dabei von Spenden über die Bereitstellung von Netzwerken und Infrastruktur bis hin zu Know-How (z. B. der Rechtsbeistand durch Anwälte). Neben direkter Hilfe prägen extrem rechte Unternehmer*innen auch das politisch-kulturelle Umfeld. Aus mobilisierungstheoretischer Perspektive bietet dieses Engagement neben den genannten Ressourcen auch eine gesellschaftliche Gelegenheitsstruktur (grundsätzlich für Bewegungen: Kitschelt, 1999).
Nicht zuletzt, wenn Vorgesetzte rechte Parolen nicht nur tolerieren, sondern sogar selbst vorgeben, werden extrem rechte Positionen normalisiert und schließlich hegemonial. Wir wollen deshalb im Folgenden näher auf diese Gelegenheitsstrukturen eingehen und aufzeigen, dass einige Unternehmer*innen eine große Nähe zur extremen rechten Szene aufweisen oder diese sogar offen unterstützen. Im nächsten Abschnitt gehen wir kurz auf den Forschungsstand zur extremen Rechten, zur Rolle der Zivilgesellschaft sowie zur Rolle von Unternehmer* innen in der Demokratie ein. Vor diesem Hintergrund stellen wir anschließend Beobachtungen extrem rechter Aktivitäten von Unternehmer*innen im Landkreis Görlitz vor. Dabei beschäftigen wir uns sowohl mit ihrer Rolle als (eigenständige)politische Akteure wie auch als Finanziers und Unterstützer*innen extrem rechter Strukturen. Abschließend ziehen wir ein Fazit auf Basis dieser Beobachtungen und skizzieren Handlungsansätze für eine lebendige Demokratie.
Extrem rechte Akteure – neonazistische Kameradschaften, Parteien von NPD bis hin zur AfD, vermeintlich als Einzelne agierende Gewalttäter*innen und parteipolitisch (zumindest dem Anschein nach) ungebundene Demoanmelder*innen – sollten jeweils nicht isoliert betrachtet werden. Ein solch verengter Blick übersieht einerseits die fließenden Übergänge, die „Familienähnlichkeit“ (Klärner/Kohlstruck, 2006, 31)und die Knotenpunkte zwischen diesen Akteuren (grundsätzlich Pirro, 2022). Zuletzt ist auch im internationalen Vergleich die Hybridisierung rechtsextremer Strukturen – weg von starren Parteien und hin zu losen Organisationsformen, teils zu miteinander nur ungebunden in Kontakt stehenden Einzelpersonen – hervorgehoben worden (Blee/Latif, 2020). Andererseits unterschätzt der Blick auf einzelne Organisationen oder Personen den Bewegungscharakter der gegenwärtigen extrem rechten Mobilisierung. Dieser Bewegungscharakter der Szene ist schon in den 2000er Jahren beobachtet worden – und hatte damals bereits historische Vorbilder in der Weimarer Republik. Gerade die nationalsozialistische Bewegung bediente sich eben auch „zivilgesellschaftlicher“ Strategien und besetzte den öffentlichen Raum mit Aufmärschen und Gewalt (Klein, 2007, 18).
Auch die Mobilisierungsstrategie der Freien Sachsen– von der öffentlichkeitswirksamen Raumnahme mittels Aufmärschen über ihre Social-Media-Aktivitäten bis zur Bedrohung politischer Gegner*innen – zielt darauf, eine faschistische Agenda umzusetzen und dafür den Aufstand gegen die Demokratie zu organisieren. Die Freien Sachsen setzen den Ansatz, als Netzwerkpartei zu agieren, allerdings offensichtlich konsequenter und nicht zuletzt deshalb erfolgreicher um (Kiess, 2023), als die derzeitige politische Konkurrenz es vermag. Die Mobilisierungserfolge sind dabei abhängig von diskursiven (Was wird eigentlich wie gerade im öffentlichen Raum verhandelt?) und politisch-kulturellen (Welche politischen Einstellungen sind in einer Region oder in einem Ort hegemonial?) Gelegenheitsstrukturen. In Reaktion auf den politisch-kulturellen Wandel in der Bundesrepublik wird beginnend in den 1980er Jahren regelmäßig die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Demokratie hervorgehoben. Meyer (2009, 137 f.)sieht dafür drei Gründe: Erstens brachte die Rolle einer sich teils neuformierenden Zivilgesellschaft beim Niedergang der sozialistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa neue Aufmerksamkeit auch für die Rolle der Zivilgesellschaft in Demokratien. Zweitens kommt der Zivilgesellschaft in der ausdifferenzierten, modernen Gesellschaft eine wichtige Funktion der Selbstregulierung zu. Und drittens bieten zivilgesellSchaftliche Organisationen vielfältige Möglichkeiten der Beteiligung. Zur Zivilgesellschaft werden dabei alle Akteure gezählt, die nicht oder zumindest nicht vordergründig zu den Bereichen Staat und Markt gehören.
Deshalb wird auch häufig vom „dritten Sektor“ gesprochen. Gleichwohl sind zivil gesellschaftliche Akteure häufig auf Finanzmittel aus der einen oder anderen Hand angewiesen. Im Graubereich angesiedelt sind folglich Vorstellungen von corporate citizenshipund der „gesellschaftlichen Verantwortung“ von Unternehmen. In der Politik spielen Unternehmen bzw. individuelle Unternehmer*innen eine wichtige Rolle, z. B. als Spender*in, durch öffentliche Unterstützung einer bestimmten Partei oder wenn Unternehmer*innen selbst in die Politik gehen. Prominente internationale Beispiele für Unternehmer, die durch ihre politische Arbeit für die extreme Rechte von Bedeutung sind, sind Donald Trump und Silvio Berlusconi. In Deutschland haben sich politisch engagierte Unternehmer*innen im Hinblick auf die Unterstützung der extremen Rechten vor allem als Spender*innen für Parteien (meist unfreiwillig) einen Namen gemacht: Dem inzwischen verstorbenen Großerben und Unternehmer August von Finck wurden beispielsweise wiederholt Parteispenden an die AfD nachgesagt sowie eine Beteiligung „über seine Handelsfirma Degussa an einem lukrativen Goldhandel […], mit dem die AfD in den ersten Jahren ihre finanzielle Basis stärkte“ (Amann/Becker/Röbel, 2018). 2013 soll Bernd Lucke von einem Unternehmer, Millionär und Geschäftsführer diverser Schifffahrtsgesellschaften, finanziell unterstützt worden sein (Fuchs/Middelhoff, 2019, 208). Außerdem lassen sich bei der AfD Verbindungen zu russischen Oligarch*innen sowie deren Unterstützung beobachten. Laut Recherchen von Christian Fuchs und Paul Middelhoff „flog [Alexander Gauland] 2015 auf Einladung des russischen Oligarchen und selbsterklärten Demokratiefeindes Konstantin Malofejew mit Kollegen nach St. Petersburg und traf dort den Kreml-Vordenker Dugin“ (ebd., 234). Dabei ist die „gesellschaftliche Verantwortung“ (siehe zur aktuellen Debatte Schrader, 2022)von Unternehmen bzw. ihren Eigentümer*innen in Deutschland traditionsreich und auch für das demokratische Spektrum äußerst relevant.
Es sind häufig und gerade im ländlichen Raum kleinere und mittlere Unternehmen, und hier vor allem Handwerksbetriebe, die sich besonders engagieren (Backhaus-Maul, 2010): Selbst in den unteren Ligen tritt praktisch kein Fußballverein ohne Trikot- oder Bandenwerbung lokaler Unternehmen an. Auch Stadt feste und Kulturveranstaltungen werden meist von lokalen Firmen gesponsort. Die politisch-inhaltliche Ausrichtung dieses Engagements ist zumeist diffus und basiert in der Regel auf persönlichen Kontakten vor Ort. Aus der Perspektive der Sozialkapitaltheorie gehört solches Engagement zu den „features of social life, networks, norms, and trust, that enable participants to act together more effectively to pursue shared objectives“ (Putnam, 1995, 644 f.)– und ist gleichzeitig ihr Ergebnis. Unternehmer*innen sind hier keine Ausnahme, vielmehr ist gesellschaftliches Engagement einerseits wichtig für die Pflege geschäftlicher Beziehungen und andererseits auch Teil des Selbstverständnisses vieler Unternehmer*innen. Auch die Forschung hat sich mit dem Thema corporate citizenshipin den 2000er Jahren intensiver auseinandergesetzt (Backhaus- Maul et al., 2010)und nicht zuletzt im Zuge neo liberaler Visionen eines schlanken (Sozial-)Staates „eine neue Rollenverteilung zwischen Staat, Bürgern, Nonprofit-Organisationen und Unternehmen“ (Back haus-Maul, 2006) konstatiert. Neben den Vorteilen für eine lebendige Bürgergesellschaft stellt sich in einer dem politischen Gleichheitsgrundsatz verpflichteten Demokratie aber auch die Frage nach dem (ungleichen)Einfluss von Bürger*innen bzw. Unternehmensinteressen, die über mehr Geld verfügen als andere. Der Einfluss von Unternehmen auf alle Bereiche der Politik ist seit Jahren Gegenstand kritischer Diskussionen (Leif/Speth, 2006; ALTER EU, 2019). Und auch die Abhängigkeit des lokalen Fußballvereins von der Bandenwerbung eines lokalen Unternehmens stellt eine Machtbeziehung dar. „Klüngel, Seilschaften und Klientelstrukturen“ (Roth, 2004, 56) können zudem antidemokratische Tendenzen begünstigen. In der modernen Zivilgesellschaft „scheint es weniger denn je möglich, Politik und Gesellschaft zu trennen und die demokratischen Ansprüche der Zivilgesellschaft gegen die Übermacht ökonomischer Interessen zu verteidigen“ (ebd., 54). Wie für die Zivilgesellschaft insgesamt kommt es auch bei unternehmerischem Engagement auf die zugrundeliegenden Werte an. Viele Verbände, Kirchen, Gewerkschaften, Vereine usw. haben sich in den vergangenen Jahren mit ihrem Selbstverständnis auseinandergesetzt. Teilweise gibt es auch politische Vorstöße, Vereine zumindest im Rahmen staatlicher Mittelzuwendungen an ein spezifisches Demokratieverständnis zu binden (zeitweise und besonders umstritten z. B. durch die sogenannte Extremismusklausel des Bundesfamilienministeriums unter der CDU-Politikerin Kristina Schröder).
Die öffentliche Aufmerksamkeit und in Ansätzen auch die Forschung zu Zivilgesellschaft und Rechtsextremismus hat sich in den letzten Jahren immer wieder auf die Rolle von Vereinen und Organisationen für die Demokratie, aber auch ihre Anfälligkeit für extrem rechte Vereinnahmung gerichtet. Teilweise versuchen extrem Rechte strategisch und gezielt, beispielsweise Fußballvereine zu unterwandern (Geisler/Gerster, 2016). Die Frage, welche Rolle rassistische und antidemokratische Einstellungen bei der Freiwilligen Feuerwehr, in Fußballvereinen oder den Kirchen spielen und wie diesen begegnet werden kann, wird inzwischen auch empirisch-wissenschaftlich bearbeitet (Schroeder et al., 2022). Ähnliche Fragen werden bisher für Unternehmer*innen jedenfalls nicht systematisch gestellt, auch weil sie eben nicht zur Zivilgesellschaft gezählt werden. Allerdings gab und gibt es vereinzelt Veröffentlichungen zu den Geldgeber*innen extrem rechter Strukturen. Fuchs und Middelhoff (2019)betrachten in einem Kapitel die Finanzquellen neurechter Netzwerke, Bücker et al. (2019)behandeln die Finanzierung und eben auch Spender*innen der AfD.
Bei der bundesweiten Razzia gegen die Reichsbürgerszene im Dezember 2022, welche sich auf einen Staatsstreich vorbereitete, wurde neben anderen ein Immobilienunternehmer in Hessen festgenommen, der seine Immobilien der Szene zur Verfügung gestellt hatte (Bebenburg et al., 2022). Hundseder (2004)veröffentlichte vor einigen Jahren bereits eine Recherche zu den Geldquellen der NPD und Titus Simon (2021)beschreibt an einem Beispiel die Verflechtungen zwischen NPD und Kleinunternehmer*innen sowie Immobilienbesitzer*innen in Ostdeutschland: „Die im Landkreis Vorpommern-Greifswald gelegene Hansestadt verzeichnete nach der Wende einen massiven Einwohner_innenverlust."
Seit den frühen 1990er Jahren entwickelten sich umfassende Verflechtungen zwischen der dort überdurchschnittlich starken NPD, deren Akteur_innen dort mehrere innerstädtische Immobilien besitzen, dem bürgerlichen Geschäftsleben der Stadt sowie der bedeutsamen rechtsextremen Kameradschaftsszene […]. Diese spezifische Form einer mit sozialen Verflechtungen durchwobenen Gegenökonomie wurde Bestandteil der NPD-Strategie, nach dem Ausscheiden aus dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern mittels Immobilienkäufen und der Bildung von Wirtschaftsunternehmen neue ökonomische Standbeine zu schaffen. Hierzu gehörten auch die Gründung einer Mecklenburg-Vorpommerschen Strukturentwicklungsgenossenschaft (MVSE)sowie die Vernetzung von Handwerks-, Versand- und Abrissfirmen“ (Simon, 2021, 160). Gerade im ländlichen Raum ist der Erwerb von Immobilien und das Schaffen von Freizeitangeboten inzwischen auch in Sachsen eine erprobte Strategie (Kulturbüro Sachsen, 2021).
Bei den folgenden Beobachtungen zu Unternehmer*innen als Teil oder im Umfeld der extremen Rechten in Ostsachsen konzentrieren wir uns auf den Landkreis Görlitz. Hier war die extrem rechte AfD bei der Bundestagswahl 2021 mit 32,5 % stärkste Partei. Auch bei Landtags- und Kommunalwahlen erzielt sie wiederholt hohe Ergebnisse. Außerdem kommt es regelmäßig zu Demonstrationen, Kundgebungen oder Autokorsos hunderter Reichsbürger*innen, Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen und Kommunalvertreter*innen der AfD. In den letzten drei Jahren handelte es sich bei den Demonstrationen vor allem um wöchentliche Proteste mit Bezug zur Covid-19-Pandemie.
Die Chronik von 15 Grad Research dokumentiert zudem eine Kontinuität rechter Gewalt in der Region. Das Ergebnis ist eine umfassende, wenn auch unmöglich vollständige Chronik rechter Gewalt und (symbolischer)Raumnahme mit weit über 800 Einträgen von 1990 bis 2022: Belegt sind unter anderem 124 Fälle von Sachbeschädigung, 126 rassistische Vorfälle (Bedrohungen, Beleidigungen und Körperverletzungen), 194 gewalttätige Übergriffe, Schlägereien und Überfälle, 22 antisemitische Vorfälle, 12 Brandanschläge und 2 Todesfälle. Nicht zuletzt diese beiden traurigen Tiefpunkte der Chronik werden staatlicherseits trotz der von Opferorganisationen eindeutig als rechtsextrem belegten Motivlagen nicht in der behördlichen Statistik „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“ berücksichtigt.
1994 wurde der 18-Jährige Michael Gäbler von einem bekannten Neonazi erstochen. Der Täter war zuvor in einem Jugendclub mit dem Spruch „Klar bin ich Nationalist, ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ aufgefallen.(4)
In Weißwasser verstarb am 31. Januar 2000 der Obdachlose Bernd Schmidt an schweren Kopfverletzungen, die ihm mehrere Täter über drei Tage hinweg zufügten. Einer der Täter äußerte vor Gericht, Obdachlose seien „menschlicher Schrott“.(5)
Über diese beiden Fälle hinaus lässt sich im Landkreis Görlitz weiterhin eine aktive, raumgreifende extrem rechte Szene beobachten.
Vor dem Hintergrund der dargelegten Überlegungen blicken wir in diesem Policy Paper darauf, welche Rolle Unternehmen bzw. Unternehmer*innen für die extreme Rechte im Landkreis Görlitz spielen. Unser Ziel ist es, Aufmerksamkeit für das breite Spektrum von („unauffälligen“)Spender*innen über gesellschaftliche Einflusspositionen bis zu selbst Aktiven zu schaffen und die Öffentlichkeit über dieses extrem rechte Engagement aufzuklären. Denn im Landkreis Görlitz sind eine Vielzahl rechter Akteure (AfDler*innen, Reichsbürger*innen, Rechtsextreme, Nationalist*innen, Verschwörungsgläubige, Esoteriker*innen)aktiv, die beruflich kleine oder mittlere Unternehmen (KMU)betreiben. Waren es Anfang der 1990er Jahre vor allem einzelne Szeneläden der neonazistischen Subkultur, hat sich die extreme Rechte in den letzten Jahren zunehmend breiter organisiert. Heute lassen sich in der Region einige Unternehmer*innen finden, die den Reichsbürger*innen, den Freien Sachsenoder der AfD angehören oder kulturellen Vereinen, die extrem rechten Gruppierungen ideologisch nahestehen. Bei den mit diesen Personen verbundenen Unternehmen handelt es sich unter anderem um Rechtsanwaltskanzleien, Vermietungsagenturen, regionale Handwerksunternehmen, Beratungsfirmen und Autohäuser. Einige profitieren von regionalen Wirtschaftsförderungsprogrammen des Bundes, der Landes- und EU-Förderungen sowie Denkmalschutzförderungen. Steuergelder des in der Szene verhassten demokratischen Staates tragen so indirekt zur Konsolidierung und Stärkung antidemokratischer Strukturen in der Region bei. Im Folgenden zeigen wir anhand von Beispielen auf, wie extrem rechte Unternehmer*-innen mit ihrem politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Engagement versuchen, den Landkreis zu prägen.
VÖLKISCH-ESOTERISCHE ANGEBOTE
In der Region sind zahlreiche Unternehmer*innen aktiv, die ihre finanziellen Ressourcen und ihr soziales Kapital zur Unterstützung völkisch-nationalistischer sowie verschwörungsideologischer Strukturen nutzen. Hier nennenswert ist Dietrich Kuhn, Betreiber der „Kuhn Kies + Sand GmbH“ in Oberneundorf. Anfang der 1990er Jahre baute er das Kieswerk nördlich von Görlitz aus. Nicht unweit seiner Betriebsstätte befindet sich ein altes Herrenhaus aus dem 16. Jahrhundert, welches er mit seiner Frau im Jahr 2015 kaufte. Seitdem wird es auch mit Steuergeldern gefördert saniert. Auf der für das Schloss eingerichteten Website heißt es:
Unsere Vision ist es, das Schloss, sowie mit der Zeit das Ensemble nach und nach wieder mit Leben, Freude, Kultur, Begegnung und Besinnung zu erfüllen.
Zum Tag des offenen Denkmals am 8. September 2018 konnten die Besucher*innen alte Handwerkskunst, russische Volkstänze von Wlada Ruggle und einige Stände mit regionalen Produkten und Handwerkskunst bestaunen. Zu diesem Event konnte man sich auf dem Schloss außerdem am Stand der völkischen Weda-Elysia-Gruppe (6) informieren. Maik Schulz (Initiator und Sprecher der Gruppe)und Aruna Schulz waren ebenfalls anwesend, wie uns vor liegende Bilder belegen.
Was die Inhaber*innen des Schlosses unter Kultur und Begegnung verstehen, lässt sich in einer aktuelleren Einladung zum „Folklore-Sommerfest“ am 17. Juli 2022 auf Schloss Ober- Neundorf nachlesen. Diese wirbt mit der Anwesenheit der der rechtsesoterischen und antisemitischen AnastasiaBewegung nahestehenden Esoterikerin Wlada Ruggle, die auch erneut anwesend war.(7) Die in Russland geborene und seit 1994 in der Schweiz wohnende Ruggle beschreibt auf ihrer Website, wie sie nach einer Neuausrichtung ihres Lebens 2001 ein Treffen mit Wladimir Megre, dem Gründer der AnastasiaBewegung, organisierte.(8) Im Anastasia-Kult bestehen ideologische und organisationale Verbindungen zu rechtsradikalen Organisationen und Gruppierungen. Wlada Ruggle selbst betont im Einklang mit dem Anastasia-Kult die Bedeutung der Familie, der Sippe und der Ahnen für das kulturelle Zusammenleben. Bilder zeigen sie immer wieder mit Symbolen wie der schwarzen Sonne, einem Erkennungszeichen in der rechtsesoterischen und Neonaziszene. Auch am 11. September 2022, zum Tag des offenen Denkmals in der Region, strömte eine Vielzahl von Menschen auf das Grundstück von Familie Kuhn, um sich die Sanierungsfortschritte anzusehen. Aus den einzeln zunächst belanglos erscheinenden Beobachtungen vor Ort ergibt sich in der Gesamtschau abermals die rechtsesoterische, wenn auch betont friedliche Ausrichtung: Die Familienangehörigen verkauften in altmodischer, in der völkischen Szene beliebter Kleidung selbstgebackenen Kuchen. Im Obergeschoss konnte man traditionellen Märchen lauschen, in einem anderen Raum konnten sich Besucher*innen von altdeutscher Schrift inspirieren lassen. In einem vor Ort ausliegenden Flyer des Vereins Bund für deutsche Schrift und Sprache e. V. ist zu lesen:
„Eine endgültige Preisgabe der deutschen Schrift wäre Verrat an Gutenberg, Verrat an der deutschen Sprache und dem deutschen Volke, ja Verrat an Europa! Gerade weil die politischen Grenzen im deutschen Sprachraum von jeher schwankend und umstritten waren, dürfen wir niemals auf unsere deutsche Sprache verzichten, da dies uns Deutsche über alle Grenzen hinweg miteinander verbinden kann.“
Der zumindest rechtslastige Verein ist seit Jahrzehnten aktiv. Im Vorstand vertreten war u. a. Wieland Soyka-Körner vom Bremer Faksimile-Verlag, spezialisiert auf den Reprint von Büchern und Broschüren aus dem völkisch-antisemitischen Spektrum der Weimarer Republik (Dietsch/Maegerle, 1995).
Überschneidungen zwischen Unternehmer*innen und völkisch-nationalistischen Strukturen lassen sich auch anhand des Vereins Landleben 19 e. V. in der Region Oybin, nähe Zittau beschreiben. Der Gründer des Vereins, der Garten- und Landschaftsbauer Helge Hilse, engagierte sich bereits 2015 gegen Geflüchtete und ist Mitbegründer des rechten Netzwerkes und Vereins Ein Prozent.(9) Ein Prozent gilt als Schnittstelle zwischen der AfD, der Strömung der Neuen Rechtensowie dem klassischen Neonazi-Spektrum. Die Gründung von Ein Prozent wurde Mitte 2015 auf dem Blog der neu-rechten Sezession, einer von Götz Kubitschek verantworteten Publikation, bekannt gegeben. Der Verein Landleben 19 möchte sich in der südlichen Region des Landkreises kulturell einbringen und einem breitem Publikum Veranstaltungen anbieten. Laut einer Ankündigung vom 30. Dezember 2021 auf der Website des Vereins wurde 2021 zudem ein sanierter Gutshof erworben. Von dieser Adresse aus vertreibt Helge Hilse aktuell ein regional hergestelltes „Oberlausitzer Oel aus Kürbiskernen“.Landleben 19 e. V.wird von einigen Firmen aus dem Landkreis Görlitz, u. a. von der Gerüstbaufirma Kießling und dem Naturkostladen Oybin, sowie weiteren Firmen aus Thüringen und MecklenburgVorpommern unterstützt.(10)
Auf der Website des Vereins erklärt Hilse:
Wirtschaft braucht Volk und Heimat.
Ziel sei es, Betriebe mit Arbeitssuchenden sowie Auszubildenden zu vernetzen und somit dafür zu sorgen, dass Handwerksbetriebe in der Heimat bleiben. Dabei geht es aber nicht nur um lokale Wirtschaftsförderung, vielmehr folgt diese einer völkischen Agenda. So schreibt Hilse selbst auf der Website:
Als Deutsche dürfen wir alle uns fühlen, und das ist gut so. Wenn man unsere Kultur- und Werteträger entwürdigt, sind wir in der Pflicht ‚Nein!‘ zu rufen.(11)
Eine Stärkung der Heimatverbundenheit und der kulturellen Identität der Unternehmen könne, so Hilse an gleicher Stelle weiter, eine „Heilung für unsere Gesellschaft“ bewirken. Der Verein propagiert keine offen rassistischen oder extrem rechten Forderungen. Allerdings knüpfen die vom Verein vertretenen Vorstellungen von Arbeit und Kultur an einen völkisch-nationalistischen Begriff von Kultur an. Kultur wird mit einem heimatverbundenen Volk in Bezug gesetzt, das wiederum national, organisch gewachsen und autochthon gedacht wird. Dieses existentialistisch und exklusiv gedachte Volk soll ‚deutsche‘ Bräuche und Traditionen pflegen und vor Ort verwurzelt sein, Zuwanderung soll so überflüssig bleiben. Der Verein appelliert entsprechend an Betriebe:
Ihren Teil der generativen [sic!] Verantwortung ein[zubringen], indem Sie für unsere Jugend vor Ort Arbeitsplätze schaffen, statt diese im Ausland zu bewerben (12).
Der schwulstig klingende Begriff „generativ“ signalisiert im Kontext der Seite die völkische Orientierung, eine
Anwerbung von nicht-volkszugehörigen Fachkräften aus dem Ausland soll vermieden werden. Helge Hilses Ehefrau Karin Hilse betreibt bzw. betrieb (die Website ist inzwischen offline) die Vermietung von Ferienhäusern und Wohnungen. Auf der Homepage der Ferienwohnungen wurde zum Wiederentdecken „unser[es] gewachsene[n] deutsche[n] Volksliedgut[s]“ eingeladen und mit einem ähnlichen Kulturbegriff geworben: „Wir achten und fördern unsere eigene Kultur- und gewachsene Kulturlandschaft. In diesem Sinne möchten wir Ihnen liebe Gäste, mehr bieten als nur Betten“.(13)
Ein drittes Beispiel für unternehmerisches und gleichzeitig eindeutig extrem rechts motiviertes Engagement ist der Neonazi und bayerische Zollbeamte Helge Redeker. Helge Redeker übernahm 1992 zusammen mit Dietmar Munier (einem bekannten rechtsextremen Verleger aus Kiel) die Geschäftsführung diverser rechtsextremer Gruppen. So war er beispielsweise Funktionär der „Gesellschaft für Siedlungsförderung in Trakehnen mbH“ (Amtsgericht Kiel, Eintragung Dezember 1992, HRB 3592) sowie des Vereins Aktion Deutsches Königsberg. Diese geschichtsrevisionistischen Unternehmungen dienten dem Erwerb von Grundstücken zur Wiederbesiedlung von Gebieten des ehemaligen Ostpreußens durch ‚deutsche‘ Käufer*innen. Außerdem hatte Redeker (14) einen Funktionärsposten im österreichischen kulturellen Verein Dichterstein Offenhausen, welcher 1999 wegen NS-Wiederbetätigung behördlich aufgelöst wurde.
Im nördlichen Teil des Landkreises Görlitz, innerhalb eines weiträumigen Geländes am Quitzdorfer Stausee bei Niesky, finden sich die zwei Bungalow-Siedlungen ‚Feriendorf Kimbucht‘ und ‚Feriendorf Finnhütte‘, verschiedene Campingplätze und das Niederschlesische Schullandheim mit der Gaststätte Seeschänke. Helge Redeker kaufte – laut Aussagen seiner Tochter Heidi Benneckenstein in ihrem Buch Ein deutsches Mädchen: Mein Leben in einer Neonazi-Familie (2017, 132) – das Gelände 1999, um damit die rechtsradikale Szene in der Region zu stärken. Seit 2021 ist seine Stieftochter Hildegard Silke Schwind (ehem. Hoffmann)Geschäftsführerin der betreibenden „AS Service GmbH“. Die Aktivitäten der Firma umfassen nicht nur ein Schullandheim, das Unternehmen verleiht außerdem Anhänger, Boote und Fahrräder, agiert als Werbeagentur für eigene Zwecke; vermietet Ferienhäuser, Zelt- und Wohnmobilstellplätze und betreibt Imbissgaststätten sowie einen Kioskverkauf. Auch Hildegard Schwind ist aktiv im Bau und Verkauf von Mobilhäusern. Im Zeitraum 2001 bis 2016 fanden auf dem Gelände des niederschlesischen Schullandheims von Schwind Veranstaltungen mit bis zu 2.000 Teilnehmer*innen aus dem bundesweiten, extrem rechten Spektrum statt. Neben Treffen rechter Kameradschaften, Konzerten der rechtsextremistischen Band ‚Sleipnir‘, der Rechtsrocker ‚Sturmwehr‘ oder ‚Brutal Attack‘ oder des „Nazi-Liedermachers“ Frank Rennicke fanden immer wieder Veranstaltungen der NPD, deren Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten(JN) oder der mittlerweile als verfassungsfeindlich verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) auf dem Gelände statt. Im Jahr 2011 löste die Polizei zudem ein Treffen von JN-Anhängern auf, weil der Verdacht einer HDJ-Nachfolgestruktur vermutet wurde.(15)
Das hier bespielhaft skizzierte soziale, kulturelle und politische Engagement von Kuhn, Hilse und Redeker zeigt zum einen, wie extrem rechte Unternehmer*innen in Sachsen durch die Gründung kultureller Vereine sowie das Bereitstellen von Immobilien und finanziellen Ressourcen auf die Verbreitung völkischer Vorstellungen z. B. von Kultur und Arbeit unterstützen. Über diese Beispiele hinaus und für die Region insgesamt hat die ideologische Ausrichtung einzelner Unternehmer*innen zum anderen natürlich Folgen für die Arbeit in den Betrieben selbst. Extrem rechtes Gedankengut ist dort hegemonial, auch wenn oder gerade weil es gar nicht immer wieder thematisiert werden muss.
Die politische Ausrichtung solcher Unternehmen wird zudem durch die Teilnahme von Handwerksbetrieben an politischen Veranstaltungen für die breitere Öffentlichkeit relevant. An den verschwörungsideologisch und extrem rechts dominierten „Montagsdemonstrationen“ gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie beteiligen sich – wie Videoaufnahmen belegen – regelmäßig der Ingenieur Harry Fröhlich aus Mittelherwigsdorf, der Autohaus-Besitzer Frank Liske aus Görlitz sowie Jens Stöcker, Geschäftsführer des Elektromeisterbetriebes „Stöcker GmbH“ aus Hörnitz. Diese demonstrieren gemeinsam mit bereits bekannten extrem rechten Aktivisten wie Thomas Walde von Pegida Zittau, Coronaleugner*innen wie dem freischaffenden Puppenspieler Lutz Männel aus Oppach oder dem Zittauer AfD-Stadtrat Frank Figula. Auch bei Autokorsos ließ sich wiederholt (und auf Videoaufnahmen von Szeneangehörigen dokumentiert) die Teilnahme zahlreicher Unternehmer*innen mit ihren Betriebsfahrzeugen beobachten.
AFD-SPENDER UND VERANKERUNG DER PARTEI IN DER REGION
Politische Parteien zielen auf die Gewinnung von Stimmen bei Wahlen ab. Neben der staatlichen Parteienförderung, welche die Grundlage eines fairen politischen Wettbewerbs bilden soll, finanzieren sich Parteien vor allem über Mitgliedsbeiträge und auch über Spenden. Die AfD war insbesondere in ihrer Gründungszeit von privater finanzieller Unterstützung und Krediten abhängig (siehe dazu z. B. die Recherchen von Riedel/Pittelkow, 2022). Staatliche Wahlkampfkostenerstattung stand ihr noch nicht zu und Mitglieder hatte sie erst wenige. Inzwischen ist die Partei wohl nicht zuletzt durch die stabilen Wahlergebnisse finanziell besser aufgestellt, d. h., sie kann sich mindestens zum Teil über Steuergelder finanzieren und dieses Geld in die politische Arbeit investieren. Auch in Görlitz hat die AfD das extrem rechte Stimmenpotenzial an sich gebunden und erzielte 2017 (27,0 %)und 2021 (32,5 %)bei den Bundestagswahlen das beste Zweitstimmenergebnis aller Parteien. Tino Chrupalla zog mit 35,8 % der Erstimmen auch 2021 wieder als Direktkandidat in den Bundestag ein. Er ist seit Juni 2022 Bundessprecher der AfD. Mit diesen Wahlerfolgen fließen nicht zuletzt finanzielle Mittel in lokale Netzwerke, Parteibüros und weitere Infrastruktur. Daneben wird die Partei auch aus dem lokalen Mittelstand unterstützt.
[Aufgrund des Urteils des OLG Dresden vom 22.10.2024 wurden einige Inhalte wieder online gestellt.]
Am Beispiel des Unternehmens „Hentschke Bau“ mit Sitz in Bautzen lassen sich weitere Verbindungen zwischen der AfD und lokalen Unternehmen aufzeigen. Mit etwa 700 Beschäftigten und Jahresumsätzen von circa 200 Millionen Euro ist der Bautzener Traditionsbetrieb Hentschke mit seinem Hauptgeschäftsführer Jörg Drews inzwischen bundesweit aktiv. (16) Seit einigen Jahren ist Drews außerdem politisch aktiv und prägt die politische Kultur in Bautzen. Bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung am 9. Februar 2019 in Bautzen äußerte sich Jörg Drews wie folgt:
„Ich bin als wirklicher Bautzener am Stadtrand geboren vor 60 Jahren und dann hier in Bautzen zur Lehre gegangen und habe dabei ein Abitur gemacht und bin seitdem mit Leidenschaft in dieser Stadt, liebe sie, mag die Region, mag es mit ihrem wunderbarem Umfeld und ich finde diese Stadt hat unheimlich viel Potenzial. Soweit ich weiß, bin ich hier in Bautzen seit Jahrzehnten einer der kontinuierlichen Steuerzahler. Ich setze mich gesellschaftlich für viele Belange ein.“ (17)
Drews inszeniert sich also als sozial engagierter Unternehmer und unterstützt viele Bereiche des Bautzener Stadtlebens. Dazu zählt unter anderem der Fußballklub Budissa, der Rechentechnikverein Zuseum, die Jugendfeuerwehren, Kindergärten sowie die Schulsternwarte.
Auch alternative Medien unterstützte Drews. So wirkte er in der lokalen Öffentlichkeit 2017 z. B. mit der Zeitschrift „Denkste?!“, die als Papierform verteilt wurde. Die Anmeldemail für Veranstaltungen der Initiative „von Bürgern für Bürger“ – war unter „rueckmeldung(at)hentschke-bau“ auf der Homepage „Wir sind Deutschland – nur gemeinsam sind wir stark“ zu finden. Auch das seit 2008 entstandene Medium Ostsachsen.TV wurde nach eigenen Angaben durch den Bautzener Bauunternehmer teilfinanziert. In diesem von David Vandeven betriebenen Medium kamen neben regionalen Beiträgen zu Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft auch viele extrem Rechte zu Wort, u.a. der Aktivist der Identitären Bewegung Maximilian Thorn aus Bautzen, der Herausgeber des extrem rechten Compact Magazin Jürgen Elsässer, AfD-Sachsen Chef Jörg Urban, AfD-MdL Sebastian Wippel und der Reichsbürger Peter Fitzek. Auch einer Vortragsreihe im Bautzener Residence Hotel, bei der verschwörungsideologische Szenegrößen wie Daniele Ganser, Ken Jebsen und Thorsten Schulte auftraten, gab David Vandeven ein Podium. Durch dieses Engagement werden extrem rechte, verschwörungsideologische Positionen über Bautzen hinaus verbreitet, normalisiert und bieten das diskursive Umfeld für weitere extrem rechte Mobilisierung.
Eine Distanzierung zu seiner unternehmerischen finanziellen Unterstützung rechter Meinungsmacher*innen, zu den Ausschreitungen in Bautzen gegen Geflüchtete und zu den rassistischen Ressen- timents in der Stadt findet sich nicht. Zu Buche steht vielmehr offiziell eine Parteispende an die AfD im Bundestag. Laut Rechenschaftsbericht des deutschen Bundestages (18) unterstützte die „Hentschke Bau GmbH“ die AfD im Bundestagswahlkampf 2017 mit einer Summe von 19.500 Euro.
Ein weiterer Unternehmer mit Verbindungen zur AfD ist Winfried Stöcker. Sein Vermögen gründet auf dem Medizin-Unternehmen „Euroimmun“, das er vor einigen Jahren für bis zu 1,2 Milliarden Euro an einen US-Konzern verkaufte. Stöcker, 1947 in der Lausitz geboren, wohnhaft in Schleswig-Holstein, erwarb 2013 das Jugendstilkaufhaus in Görlitz und möchte dieses seitdem wiederbeleben. Im Dezember 2014 sollte eine Benefizveranstaltung für Geflüchtete in diesem ehemaligen Kaufhaus stattfinden – dies wurde vom Eigentümer verhindert. Daraufhin folgten bundesweite Schlagzeilen über die rassistischen Motive und Äußerungen Stöckers.(19) Seine fremdenfeindlichen Positionen verbreitet Stöcker offen. In einem Interview mit der Sächsischen Zeitung im Jahr 2014 (20) spricht er von „reisefreudigen Afrikanern“ und behauptet, dass die „Moslems“ damit begonnen hätten, „einen Staat im Staate zu bilden“. Die Staatsanwaltschaft Görlitz ermittelte daraufhin wegen Volksverhetzung, Stöcker ruderte einige Tage später zurück: Er sei kein „Ausländerfeind“, sondern habe Respekt vor jedem einzelnen Menschen.(21) Aus dem Rechenschaftsbericht (22) der AfD aus dem Jahr 2019 geht hervor, dass Stöcker die Partei mit 20.000 Euro unterstützte. Die extrem rechte Partei habe „in vielen Sachfragen die besten Argumente“, schreibt Stöcker in einem offenen Brief an die FDP, der auf seinem Blog23zu finden ist. Bundesweite Aufmerksamkeit wurde Stöcker zuteil, weil er 2020 und 2021 ohne offizielle Erlaubnis einen Corona-Impfstoff herstellte und diesen an sich und weiteren Personen getestet haben soll. Auf seinem Blog agitiert Stöcker derweil weiterhin. Neben Rezepten für Johannesbeeren-Marmelade wirbt er für den völkerrechtswidrigen Anschluss der ukrainischen Regionen Luhansk und Donezk an Russland (24), lamentiert über den „Gender-Unfug“(25) und im Jahr 2015 forderte er, man müsse Angela Merkel „zum Rücktritt zwingen“.(26)
Neben diesen beiden finanzkräftigen Unternehmern lohnt aber auch ein Blick auf kleinere mittelständische Unternehmer*innen in der Region. Der Stadtratsabgeordnete der AfD in Görlitz Michael Alois Mochner ist Rechtsanwalt und (ehemaliger) Geschäftsführer der „GVVB-Grundstücksverwertungs-, Verwaltungs- und Beteiligungs UG“ und der „Vitalis Verwaltungs- und Beteiligungs UG“ sowie über Umwege beteiligt an der „Sächsischen Mahn- und Inkassodienst GmbH & Co.KG“. Daneben war er in der „Lebenshilfe – TUBA gGmbH“ aktiv (27). Im Dezember 2016 sprach er als Redner unter anderem neben dem extrem rechten Publizisten und Herausgeber des Compact Magazins Jürgen Elsässer und dem ehemaligen AfD-Stadtrat Jens Jäschke auf einer Kundgebung der rassistischen Initiative „Görlitz bewegt sich“ (28). Mochner kandidierte 2016 im Bundestagswahlkreis Görlitz parteiintern unter anderem gegen den jetzigen AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla für die Nominierung zur Bundestagswahl 2017. Jedoch gewann Chrupalla die Direktkandidatur und wurde auf der sächsischen Landesliste der AfD auf Platz 5 für den Bundestagswahlkampf 2017 nominiert. Tino Chrupalla gewann mit 32,4 % die Kandidatur gegen den jetzigen CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretzschmar aus Görlitz und zog 2017 in den Bundestag ein.
Auch Tino Chrupalla, jetzt Mitglied im Bundestag, war Inhaber eines Unternehmens im Maler- und Lackiererhandwerk in der Region Weißwasser. Diese unternehmerische Tätigkeit hat er inzwischen aufgegeben. Der fraktionslose Görlitzer Stadtratsabgeordnete Jens Jäschke ist im Immobiliensektor unternehmerisch tätig. Er vermietet vier Ferienwohnungen und schloss 2020 eine Weiterbildung als Immobilienmakler ab. Im vergangenen Jahr ist er regelmäßig als Redner auf den „Montagsdemonstrationen“ in Görlitz aufgefallen, auch engagiert er sich mit Teilnahmen an und Redebeiträgen auf den Demonstrationen der rassistischen Initiative „Görlitz bewegt sich“ seit 2015 kontinuierlich gegen Geflüchtete. Seine Mitgliedschaft in der Stadtratsfraktion der AfD Görlitz sowie seine Position als deren Fraktionsvize verlor er aufgrund einer Solidaritätsbekundung im Oktober 2020 in den sozialen Medien mit der mehrfach verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck.(29)
Ein weiterer extrem rechts engagierter Unternehmer im südlichen Teil des Landkreises ist Jörg Domsgen. Er ist neben seiner Tätigkeit im Beraternetzwerk Oberlausitz/Niederschlesien (BON AG)(30) auch Stadtrat der AfD in Zittau und in dieser Funktion vom Stadtrat zum Aufsichtsratsmitglied der „Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau GmbH“(31) gewählt. Seine politische Haltung brachte er hier u. a. am 14. Juni 2020 in Bezug auf eine vom Theater unterstützte Protestaktion der „Karawane der Vernunft“ – eine Aktion gegen die von Reichsbürger*innen und Corona-Leugnern dominierten Proteste an der B96 – ein:
Der AfD im Kreistag Görlitz geht es damit nicht um die Beschneidung des Rechts auf künstlerische Freiheit. Es geht ihr darum, dass dieses Recht nicht einseitig und nahezu ausschließlich für linke Ideologien missbraucht wird.(32)
Unter den Mittelständlern mit AfD-Bezug, die sich regelmäßig auf den „Montagsdemonstrationen“ in der Region bewegen, findet sich auch der Unternehmer und ehemalige AfD-Kreisvorstand Frank Liske. Seit Beginn der Proteste im Sommer 2020 ist er Sprecher und einer der Organisatoren (33) der Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstrationen in Görlitz und diverser Autokorsos in der Region. Frank Liske selbst ist seit 2004 Hauptgeschäftsführer der weithin bekannten „Car-Pro Akademie GmbH“, einem Fahrsicherheitszentrum in Görlitz. (34) Im Oktober 2022 gründete Liske zusammen mit dem ehemaligen rechtsextremen Stadtratskandidat von Pro Chemnitz und Freie-Sachsen-Gründer Dieter Jörg List einen neuen Verein, den Aktionsbündnis sächsischer Unternehmer e. V. in Gründung. Laut eigenen Angaben haben sich 118 Unternehmen diesem Verein angeschlossen (Stand 19.12.2022).(35) Ein Videomitschnitt vom 19. Januar 2023 auf YouTube zeigt Liske auf einem Podium neben dem Vorsitzenden der extrem rechten Freien Sachsen Martin Kohlmann.(36) Dass Liske auch extrem rechte Inhalte teilt, zeigt sich in einem Facebook-Post vom 21. April 2021, in welchem er Shoa-relativierende und verschwörungsideologische Positionen verbreitet hatte.
Die Auftritte der Rechtsrock-Rapperin Ramona „Runa“ Naggert bei den von Liske (mit-)organisierten „Montagsdemonstrationen“ in der Region zeigen die Offenheit für das extrem rechte Bautzener Label „Neuer Deutscher Standard“ (NDS), bei dem Naggert veröffentlicht. Naggert ist liiert mit einem Bautzener Neonazi (Bernstein, 2022). Bei ihrer Musik, die in den sozialen Medien von Compact TV verbreitet wird, handelt sich um Rechtsrock im neuem Gewand – mit einer langen Tradition in der Region.
Wie anhand von Beispielen gezeigt werden konnte, finden sich im Umfeld der AfD und unter ihren Funktionär*innen in Görlitz sowie im Landkreis eine ganze Reihe mittelständischer Unternehmer*innen. Nachvollziehbar wird so, in welchen Kreisen sich die AfD-Funktionär*innen bewegen und in welchen mittelständischen Milieus die Partei Unterstützung erfährt. "
Politisches, vor allem aber soziales Engagement von Unternehmer*innen gilt als legitim bzw. wird im Rahmen von Diskussionen um bürgerschaftliches Engagement sowie corporate citizenshipund corporate responsibilitysogar gefordert. Auch aus Sicht einer kritischen Rechtsextremismusforschung sollten die politischen Absichten finanzstarker Geldgeber*innen in den Fokus rücken. Anhand der Recherchen des Projekts 15 Grad Research lässt sich zeigen, dass Unternehmer*innen, ihre sozialen Milieus sowie ihre finanziellen Ressourcen auch für extrem rechte Netzwerke und insbesondere die AfD in Sachsen von großer Bedeutung sind. Vor dem Hintergrund der weiten Verbreitung extrem rechten Gedankenguts in der Gesellschaft und der Wahlergebnisse der AfD in Sachsen sowie speziell im Landkreis Görlitz ist die Vernetzung extrem rechter Mittelständler*innen wenig überraschend. Diese zeigt darüber hinaus auf, wie die Verankerung und Normalisierung antidemokratischer und völkischer Positionen fortschreiten.
Wir können festhalten, dass Unternehmer*innen extrem rechte Strukturen erstens durch Spenden und die Bereitstellung materieller Ressourcen unterstützen. Zweitens profitiert die rechte Szene vom Sozialkapital des Mittelstandes und kann dadurch die Vernetzung der Szene selbst, aber eben auch in bürgerlich-konservative Milieus hinein vorantreiben. Und drittens werden antidemokratische Positionen innerhalb der Betriebe normalisiert. Diese zunehmende Bedeutung von Unternehmen für die extreme Rechte sollte nicht zuletzt im Kontext der Agilisierung und Hybridisierung der Szene betrachtet werden: Extrem rechte Strukturen zeichnen sich nicht mehr primär durch ideologisch homogene Akteure und hierarchisch geführte Organisationen aus, sondern viel mehr durch ihren Bewegungs- und Netzwerkcharakter und durch die Tendenz zu lagerübergreifenden Kooperation und Arbeitsteilung. Beim Aufbau dieser Netzwerke und bei der Arbeitsteilung können nicht nur die materiellen Ressourcen von Unternehmen, sondern auch das soziale Kapital von Unternehmer*innen genutzt werden. Die Unterstützung und Organisation antidemokratischer Proteste im Landkreis Görlitz ist hierfür ein gutes Beispiel. Die klassische Resource Mobilization Theoryargumentiert, dass der Zugang zu Ressourcen zentral für den Erfolg sozialer Bewegungen ist – egal ob es sich um Arbeiter-, Frauen-, Umwelt- oder eben auch rechte Bewegungen handelt (McCarthy/Zald, 1977).
Die Forschung hat diese Perspektive zwar seitdem deutlich relativiert, eine gemeinsame Idee (z. B. ein wahrgenommener Missstand oder Unrecht)und eine kollektive Identität, das politische Umfeld usw. sind ebenfalls wichtige oder sogar wichtigere Faktoren. Dennoch: Demo-Teilnehmende müssen Anreisen finanzieren können, Redebühnen und Technik bereitgestellt werden und eventuelle juristische Auseinandersetzungen geführt werden. Immobilien als Treffpunkte ermöglichen auch bei sonst geringer Reichweite die Kaderbildung und politische Arbeit (Knauthe/Nattke, 2022). Die finanziellen Möglichkeiten der extrem rechten Szene werden in der Forschungsliteratur häufig nur am Rande thematisiert. Zivilgesellschaft, Politik und nicht zuletzt Sicherheitsbehörden sollten diese Aspekte aber mitdenken, um nicht von der Dynamik der rechten Szene überrascht zu werden, insbesondere wenn diese so vernetzt ist wie in Sachsen. Neben der Ressourcenmobilisierung betont die Forschung auch die wichtige Rolle gesellschaftlicher Gelegenheitsstrukturen für den Erfolg sozialer Bewegungen (Kitschelt, 1999). Die Unterstützung aus dem Mittelstand bis hin zu lokalen Eliten bietet solche Gelegenheiten für extrem rechte Umsturzfantasien.
Die in der vorliegenden Veröffentlichung zusammengetragenen Beobachtungen stellen eine große Herausforderung für die Demokratie in Ostsachsen dar. Die demokratische Zivilgesellschaft muss durch eindeutige Positionierungen der Landespolitik und aller demokratischen Parteien gestärkt werden. Landes- und Kommunalpolitik sind gefordert, in der Region nachhaltige soziale, wirtschaftliche und auch politische Entwicklungen anzustoßen und vor Ort noch stärker zukunftsgestaltend aktiv zu werden. Aber auch Wirtschaftsverbände und Unternehmervereinigungen sollten für dieses Thema sensibilisiert werden bzw. selbst aktiv werden. Ein proaktiver Umgang mit demokratiefeindlichen Bestrebungen unter den eigenen Mitgliedern sollte nicht nur aus Imagegründen, sondern auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse (Stichworte corporate citizenshipund corporate social responsibility)und eigener demokratischer Verpflichtung selbstverständlich sein. Die Mehrheit der demokratisch eingestellten Unternehmer*innen sollte sich für die Demokratie aktiv einsetzen, um ihrer gesellschaftlichen und demokratischen Verantwortung nachzukommen.
Wir bedanken uns bei allen Mitstreiter*innen die diese monatelange Recherche ermöglicht haben und vor allem beim Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) für die wissenschaftliche Unterstützung.
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Quellenangaben:
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5) https://15grad-research.net/monitor/der-obdachlose-bernd-schmidt-52-stirbt-am-31-januar-2000-in-weisswasser/ (15.02.2023).
6) Bei diesem Zusammenschluss völkischer Siedler*innen in Wienrode im Harz handelt es sich um einen Ableger der Anastasia-Bewegung; https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/harz/wienrode-gasthof-siedler-elysia-100.html (01.02.2023).
7) https://www.schloss-ober-neundorf.de/veranstaltungen/kulturbaustelle/ (19.01.2023).
8) Hintergrundinformationen bietet die Evangelische Informationsstelle Kirchen – Sekten Religionen in der Schweiz: https://www.relinfo.ch/lexikon/theosophie-und-esoterik/esoterik/yaginya-werkstatt/ (19.01.2023). Eine Einordnung der Anastasia-Bewegung findet sich auch unter https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/anastasia-bewegung-101.html (19.01.2023)
9) Siehe auch zum Folgenden https://web.archive.org/web/ 20170809170909/http://www.mdr.de/sachsen/ein-prozent-in-oybin-100.html (01.02.2023).
10) https://landleben19.de/unterstuetzer/ (19.01.2023).
11) https://landleben19.de/unser-kulturelles-erbe-bleibt-unantastbar/ (19.01.2023).
12) https://landleben19.de/arbeit/ (19.01.2023).
13) https://web.archive.org/web/20201027144635/http:/urlaub-oberlausitz.info/aktuelles/ (01.02.2023)
14) Siehe https://taz.de/Archiv-Suche/!1604583/ und https://nazi watchdd. noblogs.org/post/2011/01/30/urlaubsidylle-mit-nazis/ (01.02.2023).
15) Zu den einzelnen Meldungen siehe https://15grad-research.net/monitor/ wpbdp_category/quitzdorf/ (01.02.2023)
16) https://www.nd-aktuell.de/artikel/1151639.joerg-drews-bautzens- gar-nicht-so-heimlicher-dominator.html (07.02.2023).
17) https://www.youtube.com/watch?v=msjYev0ulN8 (07.02.2023), ab Minute 20:22.
19) https://www.saechsische.de/sie-haben-kein-recht-sich-hier-festzusetzen-2997815.html?utm_source=szonline (07.02.2023).
20) https://www.saechsische.de/sie-haben-kein-recht-sich-hier-festzusetzen-2997815.html (07.02.2023).
21) https://www.saechsische.de/goerlitzer-kaufhaus-investor-bittet-um-entschuldigung-3000778.html (07.02.2023).
22) https://www.spiegel.de/politik/deutschland/impfstoff-forscher-winfried-stoecker-spendete-der-afd-a-10ee74ba-bc6e-42df-9fa5-e51298bdf88e (07.02.2023).
23) https://www.winfried-stoecker.de/blog/austritt-aus-der-fdp-wahlenin-thueringen (07.02.2023).
24) https://www.winfried-stoecker.de/blog/ideologen-verhindern-diebeen digung-des-krieges-in-der-ukraine (07.02.2023).
25) https://www.winfried-stoecker.de/blog/gesellschaft/hirtenbriefe/schluss-mit-dem-gender-unfug (07.02.2023).
26) https://www.winfried-stoecker.de/blog/gesellschaft/hirtenbriefe/kanzlerin-merkel (07.02.2023).
27) https://www.saechsische.de/goerlitz/jaeschke-weg-aus-fraktion-5314008-plus.html (07.02.2023).
28) https://bon-gmbh.de/impressum/ (07.02.2023).
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30) https://afdgoerlitz.de/wp-content/uploads/2020/09/Pressemitteilung_GHT.pdf (07.02.2023).
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36) https://www.youtube.com/watch?v=jtreJKHgayw (07.02.2023).
Redaktion: Dr. Johannes Kiess, Pia SchnakenbergFotos: 15 Grad ResearchRedaktionsschluss: 8. März 2023
Zuletzt aktualisiert am 31.10.2024