Hintergrund

Corona, WissenSchaf(f)t, AFD, Mittelstand, Protest, Neonazis

03.06.2021

Corona 2

Seit etwa einem Jahr organisieren Menschen aus der Region sogenannte „Anti-Corona-Proteste“. Ging es anfänglich um die Grundrechtseinschränkungen, die durch die pandemische Situation und die beschlossenen Verordnungen auftraten und immer noch auftreten, mischten sich schnell Anhänger*innen reaktionärer Weltanschauungen unter die Protestierenden.

Es kommt also regelmäßig zum Schaulaufen von Rechtsextremist*innen, Reichsbürger*innen, Freund*innen von Pegida, Anhänger*innen von Verschwörungstheoreien und Kommunalvertreter*innen der AfD.

Seit April letzten Jahres vergeht kaum eine Woche, ohne dass irgendwo im Landkreis protestiert wird. Schwerpunkte der Demonstrationen, Kundgebungen, Infostände und Autokorso sind Zittau, Löbau, Weisswasser, Oppach, Neugersdorf, Oderwitz und Görlitz. In den Ortschaften entlang der Bundesstraßen B96 und B6 stehen zudem an Montagen und Sonntagen wöchentlich bis zu 700 Menschen. Sie schwenken Reichsfahnen, Reichskriegsfahnen, Qanon-Fahnen*, Schlesienfahnen und zeigen diverse Transparente, Aufnäher und selbstgebastelte Schilder mit rechtsextremem, antisemitischem und verschwörungstheoretischem Bezug.

Seit Februar 2021 finden auch die Autokorso in der Region statt. Die Protestform des Autokorsos ist nicht neu. Diese Fahrzeugkorsos werden als Form einer Festveranstaltung, Hochzeit oder Sportevent und eben auch als Demonstration verwendet. Da ist aber die Rechtslage nicht ganz eindeutig. Aus Recherchen scheint der Anfang der Korsos gegen Corona im Mai 2020 in Berlin mit Attila Hiltmann gemacht zu sein.(10) Diese Form zog sich durch die ganze Republik und verbreitete 2021 auch in unserer Region. Unter Mottos wie „Wir bleiben nicht stehen sondern fahren“, „Der stille Protest“, „Gegen die Corona-Maßnahmen“ werden diese Autokorsos in der Region u.a. von Hermann Holdt aus Weißwasser (AFD-Stadtrat), Mario Kumpf aus Löbau (AFD-Landtagstagsabgeordneter,) und dem Görlitzer Frank Liske (ehemaliges Kreisvorstandsmitglied AFD) organisiert.

Eine bundesweite Vernetzung von Coronakritiker*innen – , leugner*innen und Menschen aus rechtsextremen Bewegungen wird unter Anderem durch die Teilnahme an den Protesten der „Querdenker Bewegung“ wie z.B. in Berlin, Leipzig, Dresden und Kassel verstärkt. Dabei verstetigt sich eine gemeinsame Widerstandshaltung gegen „Die da oben“, die die kritische Reflexion der eigenen Position nicht mehr zulässt. Auf Social Media Kanälen, wie z.B. in Telegram Gruppen wie „Patrioten Görlitz“, „Eltern stehen auf“ oder auf dem Youtube-Kanal „JBV“, werden die Proteste begleitet und wöchentlich veröffentlicht. Viele der Beiträge sind mit Songs aus der rechtsextremen Szene, wie z.B. der Band Sturmwehr*, unterlegt.

B96 Protest
Montagsdemo Görlitz
B96 Protest
B96 Protest

Kleiner Auszug der AntiCorona Proteste in der Region

In Zittau kam es am 09.05.2020 zu einer Kundgebung mit ca. 200 Menschen rund um den Herkulesbrunnen gegen die Coronamaßnahmen. Am 24.05.2020 veranstaltete der AFD Landtagsabgeordnete Mario Kumpf in Löbau , unter der Maxime „Verteidige Deine Grundrechte!“,  eine Kundgebung, an welcher ca. 30 Personen teilnahmen. In Görlitz fand am 18.10.2020 eine ähnliche Demonstration unter dem Motto „Görlitz erhellen-für unsere Freiheit-gegen die unverhältnismäßigen Maßnahmen“ mit ca. 70 Teilnehmer*innen statt. Seit Mai 2020 gibt es in Görlitz außerdem die regelmäßigen „Montagsspaziergänge“, wobei die Teilnehmer*innenzahl anfänglich zwischen 40-60 Personen und aktuell bis zu ca 120 Personen schwankt. Organisator*innen, sowie Protestierende vergleichen dabei vielfach die Montagsspaziergänge mit den MontagsProtesten zur Wendezeit 1989 in Leipzig und anderen Städten. 

Ein weiteres, wichtiges Ziel ist, dass wir so lange kämpfen wollen, bis die für diesen Irrsinn verantwortlichen Personen zur Verantwortung gezogen wurden und dafür straf- wie zivilrechtlich einstehen müssen. Das hört sich natürlich im ersten Moment sehr utopisch an. Das haben sich die Befürworter und Mitglieder des alten SED-Regimes im Frühjahr 1989 sicherlich auch gerade noch gedacht…(1)

Geht es bei den AntiCorona Protesten darum, die Verordnungen in Frage zu stellen, die von der Regierung als notwendig erachtet werden, um eine Pandemie zu bekämpfen und die Bevölkerung zu schützen, richtete sich der Protest in den letzten Monaten der DDR gegen ein Regime, das Widerstand gar nicht erst zuließ und gewaltsame Methoden anwendete, ein Regime, das Menschen einschüchtern, verhaften und einsperren ließ. Wenn hier ein Vergleich überhaupt möglich ist, dann nur insofern, als dass  Rechtsextreme Ideologien und  Parteien wie z.B. die NPD, DVU, FAP und REP auch zu dieser Zeit die Gunst der Stunde nutzten, sich dem Protest anzuschliesen, diesen versuchten zu vereinnahmen und auch hier immer wieder auf fruchtbaren Boden stießen. Auch 1989/90 begleiteten rechtsradikalen Parolen und massive rechtsextreme Gewalt die Proteste.

Was aber passiert eigentlich, wenn coronakritische Bürger*innen verschiedener Altersgruppen, ein bekannter Hausarzt aus Görlitz (Dr. Ralph Tinzmann) , ein Görlitzer Betriebsratsmitglied (Lee Roy Mayer, ehemaliger Suchtberater), ein Dozent der VHS (Jochen Stappenbeck), der Gründungsrektor der Hochschule Görlitz/Zittau (Prof. Peter Dierich, TU Dresden, ehemaliger Lantagsabgeordneter der CDU) und ein You Tuber (JBV) mit bekannte AfD Politiker*innen, mittelständige Unternehmen, eindeutig erkennbare Rechtsextremist*innen zusammenfinden und  Posts von überregional öffentlich auftretenden Personen, wie  dem Rechtsextremen Sven Liebig aus Halle, dem Arzt Bodo Schiffmann aus Heidelberg, dem Begründer von Pegida Lutz Bachmann aus Coswig oder auch dem Koch Attila Hildmann zur Orientierungshilfe werden?

Corona
Autocorso Corona
Goldener Löwe Protest
Autokorso 2

Und was passiert dann mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt im Landkreis Görlitz?

Im Herbst 2020 gipfelten die AntiCorona Proteste in einem Eklat. Mit einer performativen Aktion am 17.10.2020 unter Teilnahme des AfD-Stadtrats Frank Figula, zogen ca. 15 schwarz gekleidete Menschen mit einem Sarg durch Zittau. Durch ein Megaphon hallte es  „Wo Sind die Toten?“ durch die Zittauer Innenstadt. (2)

Eine Antwort darauf liefert das Ärzteblatt vom 23.12.2020 : 

Leichen werden zwischengelagert Wegen der hohen Todeszahlen werden im ostsächsischen Zittau inzwischen Leichen außerhalb des Kre­matoriums zwischengelagert. Die Toten sollten „im Bereich des Hochwasserstützpunkts“ gelagert und „bei Freigabe zur Einäscherung“ ins Krematorium gefahren werden, teilte die Stadt Zittau mit.(3)

Corona wird als Lüge und Weltverschwörung dargestellt, die Maßnahmen gegen die Pandemie damit nicht nur als  nicht streitbar betrachtet, sondern als diktatorische Maßnahmen angeprangert und deshalb aus Prinzip abgelehnt. Coronaleugner*innen unterscheiden zwischen sich und „den Anderen“. „Andere“ sind die, die nicht das Gleiche glauben und damit prinzipiell nicht das Richtige. Diese Anschauung wird in den sozialen Medien, im Kopp Verlag,  bei der AFD, der Identitären Bewegung und von Einzelpersonen, wie Hildmann, Schiffmann und Liebig, medienwirksam verteidigt.

Die Haltungen der „Anderen“, werden darüber hinaus ,vor allem von der AfD, weiter als (politischer) Spielball benutzt. Als z.B. am 14.06.2020  „Paradiesvögel statt Reichsadler – die Karawane für Vernunft,“, eine Initiative bestehend aus politischen Aktivist*innen, Vereinen, Organisationen, Bürger*innen aus den Landkreisen Görlitz und Bautzen, sowie Gewerkschaftler*innen, Kirchenvertreter*innen, Firmen und demokratischen Parteien, als Antwort auf den B96 Protest durch den Landkreis Görlitz fuhr und sich auch ein Kleinbus des Gerhart-Hauptmann Theaters einreihte, meldeten sich im Juli regionale AfD Politiker in einer Pressemitteilung zu Wort und ermahnten das Theater Görlitz zur Neutralität – eine klare Ansage gegen das gesellschaftliche Wirken der Kunst.

So verlautete es aus der AfD-Kreistagsfraktion und dem AfD-Kreisrat und Aufsichtsratsmitglied der Gerhart-Hauptmann-Theater GmbH (GHT GmbH) Jörg Domsgen in einer Pressemitteilung:

Der AfD im Kreistag Görlitz geht es damit nicht um die Beschneidung des Rechts auf künstlerische Freiheit. Es geht ihr darum, dass dieses Recht nicht einseitig und nahezu ausschließlich für linke Ideologien missbraucht wird. Vielmehr versteht sie das Theater als ein Spiegel der Gesellschaft, in der das Theater wirkt. Und konsequenterweise muss ein Theater in Trägerschaft der öffentlichen Hand, wenn auch in privatwirtschaftlicher Rechtsform existierend, damit den gleichen Grundsätzen wie dem Neutralitätsgebot folgen, denen auch ihre Gesellschafter/Geldgeber (der Landkreis und die Städte Görlitz und Zittau) verpflichtet sind.(4) 

Eric Wrasse, pädagogischer Leiter der Stiftung der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar antwortet aus unsere Sicht mit diesen Bedenken.

Die Partei Alternative für Deutschland attackiert und diffamiert seit geraumer Zeit bundesweit Träger und Programme der politischen Bildung. Ziel dieser Kampagne ist es, Institutionen und Pädagog*innen einzuschüchtern. So soll im Sinne der AfDParteiideologie Einfluss auf die Inhalte von Bildungsangeboten genommen werden. Dagegen setzt die Weimarer Erklärung ein deutliches Zeichen für eine selbstbewusste, wertgebundene, überparteiliche und solidarische Bildungslandschaft, die sich ihrer besonderen Verantwortung für den Demokratie- und Menschenrechts-Lernort Weimar bewusst ist. 

– Eric Wrasse, pädagogischer Leiter der Stiftung „Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar“ in https://fachzeitschrift.adb.de/news/weimarer-erklaerung-fuer-demokratische-bildungsarbeit/ abgerufen am 18.03.2021

Der damalige GHT-Geschäftsführer Caspar Sawade reagierte auf die Pressemitteilung der AfD in der Sächsischen Zeitung vom 24.07.2020: „Kunst ist nicht unpolitisch"; Zu der Frage, ob Kunst und Kultur neutral sein müssen, sagt Caspar Sawade eindeutig Nein. „Die AfD versucht mit solchen Aktionen Künstler und Kulturschaffende einzuschüchtern“, so Sawade. Eine unpolitische Kunst habe es niemals gegeben, „nur leider zu oft in der Geschichte eine Staatskunst“. Die Bühne sei gerade ein Ort des Verhandelns. (5)

Verhandlungen aber sind in einem ideologischen Denken nicht gewollt, weder von Rechten, noch von Verschwörungstheoretiker*innen. Indem Coronaleugner*innen zwischen sich und „den Anderen“ unterscheiden, wird ein Wahrheitsanspruch einzig und allein für den eigenen Glauben impliziert und damit zur alleinigen und manifesten Wahrheit erhoben. 

Aus dieser Überzeugung heraus, als einzige die tatsächliche Wahrheit erkannt zu haben, entsteht eine einseitige und sehr gefährliche Perspektive auf eine Welt, die ihre Schuldigen, ihre Sündenböcke sucht – und findet. 

Sich selbst betrachtet mensch in dieser ideologisch verfestigten Perspektive als Verteidiger*innen einer gefährdeten Freiheit in Deutschland, zusammen als „Vertreter des Volkes“ gegen „Volksverräter“,  „Volksfeinde“, gegen „die da oben“. Hier sind Vergleiche mit einer Ideologie und Methodik möglich, die wir seit Jahrzehnten in verschwörungstheoretischen Ideen und in rechtsextremen Strukturen wiederfinden (8)  und die alle die Abgrenzung von „den Anderen“, eine gleichzeitige beanspruchte Vertreter*innenrolle für „das Volk“ und den Versuch einer gefährlichen Aushöhlung des Demokratiebegriffes gemeinsam haben.

Dieses Argumentationsmuster fand bereits in der Neonaziszene der 90er Jahre Verwendung, die auf ganz ähnliche Weise über den ideologischen Auschluss von Persepektiven „der Anderen“ versuchte, in der Mitte der Gesellschaft Fuß zu fassen. Der Neonazi Steffen Hupka etwa, stellte um 1994 in seinem Blatt „Umbruch“ klar, auf wen die Anti-Antifa-Kampagne zielt: „Jeder, der sich gegen die nationale Sache direkt oder indirekt ausspricht ist Volksfeind. Jeder, der gegen nationale Gruppierungen und deren Anschauungen agitiert, stellt sich gegen das Volk, denn wir vertreten das Volk. [Feinde sind] Redakteure und andere Medienvertreter, Antifa und u.U. bestimmte Linke, Mitarbeiter in städtischen Behörden, Institutionen und Initiativen wie Ordnungsamt, AWO, Post u.a., die sich gegen national eingestellte Menschen hervortun.“ (9)

Dass es hier zu Berührungspunkten und somit auch zu einer Annährung zwischen Coronakritiker*innen, – leugner*innen, Verschwörungstheoretiker*innen, Patriot*innen, RechstextremistInnen, Reichbürger*innen, Identitären, der Querdenker Bewegung, Pegida und der AfD kommen kann, ist also durchaus nachvollziehbar. Dass in einer gesellschaftlichen Krisensituation auch zuvor unpolitische Bürger*innen nach Antworten und auch nach Schuldigen suchen und AntiCorona Protestierende aller Spektren diese leicht präsentieren können – leider auch.

Bleibt abzuwarten wie sich der Protest nach der Pandemischen Lage weiter entwickelt. Angeln die beteiligten Menschen danach weiter? Lösen sie sich in Luft auf? Oder beteiligen sie sich doch noch an demokratischen Prozessen…?

*Qanon Bewegung: Qanon oder kurz Q nennt sich eine mutmaßlich US-amerikanische Person oder Gruppe, die seit 2017 Verschwörungstheorien mit rechtsextremem Hintergrund im Internet verbreitet. aus Wikipedia

**Band Sturmwehr: ist eine Rechtsrock-Band aus Gelsenkirchen, die politische Ausrichtung tendiert zwischen nationalistisch und nationalsozialistisch aus Wikipedia

(1) Quelle: Screenshot der Website www.der-stille-konvoi.de abgerufen am 30.04.2021

(2) Quelle: sächsische zeitung abgerufen am 05.02.2021

(3) Quelle: tagesspiegel abgerufen am 20.01.2021

(4) Quelle: ärzteblatt abgerufen am 20.01.2020

(5) Quelle: Facebook Eintrag der AfD Fraktion im Kreistag vom 12.08.2020 abgerufen am 20.01.2021

(6) Quelle: aus Sächsische Zeitung online vom 24.07.2020 sächsische zeitung abgerufen am 10.01.2021 / Von Susanne Sodan & Markus van Appeldorn

(7) Quelle: weimarer erklärung abgerufen am 20.01.2021

(8) Quelle: bundeszentrale für politische bildung abgerufen am 23.01.2021

(9) Quelle: wikipedia abgerufen am 15.01.2021

(10) Quelle: RND abgerufen am 10.04.2021

Zuletzt aktualisiert am 08.03.2024